Wegen Fehlverhaltens in der Finanzkrise

Islands Regierungschef vor Gericht

Island war das erste Land, das von der Finanzkrise an den Rand des Staatsbankrotts gebracht wurde. Jetzt ist es das erste Land, das einen damals führenden Politiker juristisch zur Verantwortung zieht. Der frühere Premierminister Geir Haarde muss sich vor Gericht wegen angeblicher Pflichtversäumnisse vor und während der Krise verantworten.

Morgenjournal, 10.3.2012

Manuel Marold

Bankenkollaps: Wer war schuld?

Die Anklageschrift wirft Geir Haarde unter anderem grobe Nachlässigkeit vor, der Ex-Regierungschef habe nichts getan, um den isländischen Bankenkollaps zu vermeiden, der das Land im Jahr 2008 an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hat. Die Pleite konnte damals nur durch einen Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds und der skandinavischen Länder abgewendet werden.

Umstrittener Prozess gegen Ex-Premier

Der Prozess ist in Island jedoch umstritten. Experten bezweifeln, dass Haarde an Islands Bankenkrise wirklich maßgeblich schuld ist. So sagt etwa der isländische Politologe Eirikur Bergmann: "Er konnte die Krise zwar nicht abwenden, aber ein kriminelles Fehlverhalten kann ich da nicht wirklich erkennen. Die Regierung hatte einfach keine rechtliche Handhabe. Sie konnte nichts tun, um die überdimensionalen Privatbanken, die das Land in den Abgrund gerissen haben, zu regulieren oder zu verkleinern."

Viele Beobachter glauben daher, dass die Verantwortung für den Bankenkollaps eher bei den früheren Bankmanagern zu suchen sei, deren aggressiver Expansionskurs letztlich zum Zusammenbruch der Geldhäuser geführt hat.

Beobachter vermuten politisches Machtspiel

Der Prozess gegen den Ex-Premier Haarde wird von isländischen Experten und auch in den Medien stattdessen als politisches Machtspiel beurteilt. Die regierenden Sozialdemokraten würden versuchen, der früheren konservativen Regierung, deren Chef Geir Haarde war, eins auszuwischen.

Die politische Komponente des Prozesses erkenne man etwa daran, dass zwei sozialdemokratische Minister, die Haardes konservativer Regierung angehört haben, nicht vor Gericht stehen, obwohl sie von einer parlamentarischen Untersuchungskommission belastet wurden, so die Kommentatoren.

Die aktuelle sozialdemokratische Regierung habe eine Anklage dieser früheren Minister verhindert, um Haarde als Sündenbock darzustellen und ihre eigenen Parteileute zu schonen - daher würden viele Isländer an der Glaubwürdigkeit des Gerichtsverfahrens zweifeln, sagt der Journalist Karl Blöndal:

Island auf Erholungskurs

Der Prozess gegen Haarde ist für zwei Wochen anberaumt, bei einer Verurteilung drohen dem Ex-Premierminister bis zu zwei Jahre Haft. Island hat sich mittlerweile von der Krise erholt, die Wirtschaft ist im Vorjahr um fast drei Prozent gewachsen, die isländische Kreditwürdigkeit ist zuletzt von den Ratingagenturen erhöht worden, und das Land kann nun wieder selbstständig Geld am Finanzmarkt aufnehmen.