Nach Wahl am Sonntag

Erste "Tendenzmeldungen" von Gauck

Der neue deutsche Bundespräsident Joachim Gauck will sich künftig neben Freiheit und Verantwortung vor allem der sozialen Gerechtigkeit zuwenden - nach Kritik, er schenke diesem Thema zu wenig Beachtung. In der Bundesversammlung ist Gauck am Sonntag mit überwältigender Mehrheit gewählt worden, danach hat er die ersten Interviews gegeben.

Morgenjournal, 19.3.2012

Aus Berlin berichtet Johannes Marlovits

Erste "Tendenzmeldungen"

Für Joachim Gauck hat sich seit Sonntag einiges geändert. Der einfache Bürger ist er nicht mehr. Die Verantwortung als Bundespräsident ist eine andere geworden. Hat er Angst davor? "Mit Angst hab' ich's nicht so", meint er dazu. Aber besorgt ist er schon, weil jetzt nicht nur Freiheit und Verantwortung die einzigen Themen sein können und er sich einarbeiten müsse. Schließlich solle er bei seiner ersten größeren Rede am Freitag Leitlinien darstellen.

Aber natürlich will man schon wissen was er zu den anderen Bereichen sagt, dazu gibt es vorübergehend nur "Tendenzmeldungen", wie Gauck es nennt - zum Beispiel wenn es um soziale Gerechtigkeit und um Menschen in Armut geht. Da ist er gegen eine "Beschädigung des Sozialstaats" und dafür, die "Potenziale der Abgehängten wiederzuentdecken".

"Wir haben uns in die Augen geschaut"

Oder das Thema Integration. Sein Vorgänger Christian Wulff wird neben den Affären mit einem Satz in Erinnerung bleiben - nämlich: "der Islam gehört auch zu Deutschland". Diesen Satz würde Gauck so nicht sagen, aber er meint, "dass mir die Tendenz am Herzen liegt". Dort liegt ihm auch die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Dass Angela Merkel beim letzten Mal nicht ihm sondern Christian Wulff den Vorzug gegeben hat, lässt bei Gauck keine Rachegelüste aufkommen. "Wir haben uns in die Augen geschaut, und ich habe keinen Grund zum Misstrauen." Außerdem würden sie sich gut verstehen - sowohl die Kanzlerin als auch der neue Bundespräsident kommen ja aus dem ehemaligen Osten Deutschlands.

Freiheitsliebe und Debatten

Diese Erfahrung und der Umgang damit haben Gauck bekannt gemacht und diese Herkunft wird wohl auch in seine Arbeit einfließen. Das habe dazu geführt, dass er in Polen schneller verstanden werde als in Deutschland - "wegen der Freiheitsliebe", so Gauck. Das kann und soll sich jetzt ändern, wenn es nach Gauck geht. Bleiben soll seine Grundeinstellung: "Nicht enttäuscht bin ich, wenn ich für einige nicht links genug bin oder zu liberal bin, weil mein Freiheitsbegriff ihnen Probleme macht. Das ist eine Debatte wert." Davon wird es künftig mehr geben in Deutschland - wenn Gauck die - derzeit noch - "Tendenzmeldungen" zu durchdachten Einstellungen ausformuliert.