Eine Geschichte der Indianer
Die ersten Amerikaner
Der deutsche Autor Thomas Jeier hat eine beachtliche Bestandsaufnahme der indianischen Kultur vorgelegt. In seinem Buch "Die ersten Amerikaner" zeichnet er nicht nur ihre wechselvolle Geschichte nach, sondern liefert vor allem viel Neues und Überraschendes über deren Gegenwart.
9. April 2017, 17:52
"Winnetou ist an allem schuld", sagt Thomas Jeier. "Schon mit zwölf Jahren, als ich die Romane über den edlen Apachen-Häuptling las, war ich von den Indianern begeistert. Kaum ein Volk fasziniert die Menschen so sehr wie die Indianer."
Trotz aller Euphorie spürte Thomas Jeier schon als Kind, dass Karl May bei seinen Schilderungen der kühnen Rothäute einige Spuren zu dick auftrug. Er beschloss nach der Wirklichkeit hinter diesen Darstellungen zu suchen. Seit über 30 Jahren fährt er regelmäßig in die USA, um die oft desillusionierende Realität zu studieren. Ein Ort, der besonders gut die Schwierigkeiten eines klaren Geschichtsbildes aufzeigt, liegt in der Hochprärie im östlichen Montana. In diesem endlosen Ozean aus Büffelgras findet man den größten indianischen Kriegsschauplatz aller Zeiten: am Little Bighorn River.
Custer's Last Stand
Am 25. Juni 1876 ritten Lieutenant Colonel George Armstrong Custer und sein Kavallerie-Regiment aus gut 260 Soldaten in eine Falle der vereinigten Sioux-, Cheyenne- und Arapaho-Indianer. Mehr als 1000 Krieger empfingen den ehrgeizigen Custer, der seine Truppen geteilt hatte und viel zu spät erkannte, dass er einer überwältigenden Übermacht gegenüberstand.
Unter dem Namen "Custer's Last Stand" erinnert alljährlich ein Abenteuer-Open-Air-Spektakel an den legendären Kampf. Das von Indianern aus nahen Reservaten veranstaltete Reenactment lässt nicht nur die Kassen klingeln, es dient auch zur Wiederbelegung des indianischen Selbstbewusstseins. Auch wenn man es bei der Aufführung mit der historischen Wahrheit nicht allzu genau nimmt.
"Leland Rock spielt den legendären Crazy Horse ausgerechnet ein Crow-Indianer", erzählt Jeier. "Welche Ironie der Geschichte, denn die Crow waren früher die Erzfeinde der Lakota. Bereits als 14-Jähriger durfte er in dem Dustin-Hoffman-Film Little Big Man mitspielen."
Als Autor der History-Show zeichnet der beinahe hundertjährige Stammeshistoriker der Crow, Joseph Medicine Crow. Sein Großvater kämpfte noch selbst am Little Bighorn. Im Alltag braucht er schon lang keine Federhaube mehr, um seine Identität zu beweisen. Jeder weiß, dass er zu den rund 180.000 vollblütigen Indianern gehört, die in den USA noch leben.
"Echtes" Indianerblut
Bei vielen anderen ist ein wahrer "Kult ums Blut" entstanden. Während vor der Ankunft der Europäer allein die Loyalität gegenüber dem Stamm, die Beherrschung der Sprache und die Akzeptanz der Kultur gereicht haben, muss man heute bei den meisten der 562 registrierten Stämme mindestens einen Großelternteil vorweisen können.
Viele "Native Americans" interessieren sich - so die Kritik - kaum noch für die alten Traditionen wie den Sonnentanz, sondern wären fast ausschließlich aus finanziellen Interessen gerne Indianer. Schuld daran ist der "New Buffalo", gigantische Spielcasinos in den Reservaten, die monatliche Pro-Kopf-Zahlungen an die Stammesmitglieder ausschütten.
Weiße mit indianischen Wurzeln
Für Spott und Hohn bei den Indianern sorgen die immer zahlreicher auftauchenden Weißen, die ihre indianischen Wurzeln entdecken. Diese "Konvertiten" meditieren an heiligen Plätzen, geben sich selbst indianische Namen und glauben sogar, echten Indianern ihre Kultur erklären zu müssen. Die "Rosa Parks des American Indian Movements" Janet McCloud schrieb darüber:
Zitat
Zuerst nahmen sie uns das Land und die Gewässer, dann die Fische und das Wild. Jetzt wollen sie auch noch unsere Religion. Plötzlich laufen da eine Menge Idioten herum und behaupten, Medizinleute zu sein. Und sie verkaufen dir eine Schwitzhütten-Zeremonie für 50 Bucks. Das ist nicht nur falsch, das ist obszön.
Vorbild für die Verfassung
Thomas Jeiers Geschichte der Indianer steckt voller Details, die durchaus unbekannte Seiten der Ureinwohner Amerikas enthüllen. Der Stamm der Anasazi etwa errichtete bereits um 750 mehrstöckige Wohnhäuser. Zahlreiche Mandan-Indianer hatten hellblaue Augen und relativ bleiche Haut, weshalb oft vermutet wird, dass sie direkte Nachfahren der Wikinger oder anderer europäischer Einwanderer gewesen sind, die noch vor Kolumbus amerikanischen Boden betraten.
Der Bund der Irokesen gilt vielfach als Vorbild der amerikanischen Verfassung. Diese und viele andere verblüffende Fakten und umstrittenen Thesen sind das Ergebnis langjähriger Quellensuche, aufwändiger Reisen und endloser Begegnungen und Gespräche mit Indianern.
Nicht immer "edle Wilde"
Vor allem Jeiers Blick auf die historischen Kapitel vor der Ankunft der europäischen Kolonialisten zeigt ein allzu deutliches Bild vom gar nicht so "edlen Wilden". Indianer waren nie die unschuldigen Naturliebhaber oder friedliebenden Umweltschützer, als die sie in esoterischen Kreisen heute noch gerne dargestellt werden. Der Umgang mit den Eroberern deckte oft auf, was ohnehin in vielen von ihnen steckte.
Zitat
Durch den Pelzhandel und die Verlockungen der europäischen Materialkultur wurden neue Begehrlichkeiten geweckt, die Profitgier und neue Machtansprüche angestachelt und starke Allianzen ermutigt, ihre neuen territorialen Ansprüche gegenüber schwächeren Nachbarn mit Stärke durchzusetzen. Die Kriege zwischen den Stämmen waren nicht nur jahrhundertealte Fehden, sondern auch Verdrängungskriege wie in Europa.
Service
Thomas Jeier, "Die ersten Amerikaner. Eine Geschichte der Indianer", DVA
DVA - Die ersten Amerikaner