Juristenstreit um Bestellungspraxis

Sind Gutachter systematisch befangen?

Seit Inkrafttreten der neuen Strafprozessordnung 2008 wird der Gutachter in Strafprozessen nicht mehr von einem unabhängigen Untersuchungsrichter bestellt, sondern von der ermittelnden Staatsanwaltschaft. Beim Prozess agiere der Gutachter dann im Sinne der Staatanwaltschaft, kritisieren die Anwälte. Auch der Oberste Gerichtshof schlägt Änderungen vor.

Mittagsjournal, 3.4.2012

Anschein der Befangenheit

Gerichtlich beeidete Sachverständige spielen in vielen Strafprozessen eine wichtige Rolle. Sie sollen dafür sorgen, komplexe Sachfragen etwa aus Medizin, Technik oder Wirtschaft, zu klären und einzuordnen. Ob Giftmord oder Wirtschaftsverbrechen - in vielen Großverfahren hängt die die Frage, ob Schuld oder Unschuld, am Sachverständigengutachten. Und eben dieser Sachverständige sollte unabhängig agieren. Doch wie soll jemand, der etwa bei langwierigen Großverfahren jahrelang gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft ermittelt hat, beim Prozess eine objektive Rolle spielen, fragt man in der Anwaltschaft. Der Anschein der Befangenheit steht im Raum.

"Klar verfassungswidrig"

Anwalt Dieter Heine bezeichnet den aktuellen Zustand als "klar verfassungswidrig" und als Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte seien auch schon Beschwerden anhängig.

Auch beim Obersten Gerichtshof sieht hier ein Spannungsverhältnis. Deshalb hat man bei der jährlichen Vollversammlung, in der Impulse für den Gesetzgeber erarbeitet werden, eine Änderung vorgeschlagen, sagt der Sprecher des Obersten Gerichtshofes, Kurt Kirchbacher: Schon im Ermittlungsverfahren sollte ein Richter miteinbezogen werden mit der Aufgabe, Sachverständige zu bestellen und zu beauftragen.

Privatgutachten keine Lösung

Den Wunsch vieler Anwälte, dass beim Prozess auch Privatgutachter als Gegenpol des Gutachters der Anklage zugelassen, sozusagen als Sachverständige der Verteidigung, teilt man hingegen beim Obersten Gericht nicht. Sachverständige müssten objektiv sein, für Privatgutachter gelte diese Pflicht nicht, erläutert Kirchbacher. Privatgutachten würden nach gültiger Rechtsprechung vom Gericht nicht gewürdigt, weil sie auf unklarer Grundlage erstellt worden seien. Denn Anwälte sind vom Gesetz her verpflichtet , für ihre Mandanten Partei zu ergreifen, sagt Kirchbacher. Kurz gesagt: Ein Kritisches Gutachten ist von dieser Seite eher nicht zu erwarten. Deshalb soll aus Sicht des OGH auch nichts an der bisherigen Rolle des Privatgutachters geändert werden, sagt Kirchbacher.

Unabhängiges Gremium?

Aber auch noch andere Vorschläge sind in Diskussion, etwa dass der Richter für das Hauptverfahren einen eigenen Gutachter bestellt. Anwalt Dieter Heine wiederum schlägt ein unabhängiges Gremium vor, dass Gutachter bereits für die Ermittlungen im Vorverfahren bestellt. Damit würde die Unabhängigkeit nach außen "verbildlicht werden", so Heine.

Im zuständigen Justizministerium ist man sich der Problematik bewusst. Sektionschef Christian Pilnacek geht davon aus, dass diese Frage auch im Justiz-Unterausschuss im Parlament diskutiert werden wird. Alle Vorschläge sollten auf Vor- und Nachteile geprüft werden, diese gilt es abzuwägen, um dann die beste Lösung zu finden, sagt Pilnacek.