Kurator Cuauhtémoc Medina

Manifesta 9

Die Manifesta gehört neben der Biennale in Venedig und der Documenta in Kassel zu den wichtigsten und meist beachteten Veranstaltungen für zeitgenössische Kunst in Europa. Sie findet alle zwei Jahre an wechselnden Austragungsorten statt.

Es ist eine "nomadisierende" Kunstveranstaltung, die für den jeweiligen Austragungsort maßgeschneidert wird, denn ein wichtiges Anliegen der Manifesta-Veranstalter ist es, die international geführten künstlerischen Debatten jeweils an den regionalen und historischen Gegebenheiten zu inspirieren - und zu überprüfen.

Besonders spannend waren daher die Ausstellungsorte der vergangenen Manifestas, wie etwa die Franzensfeste bei der Manifesta 7 im Trentino, wo in den dicken, verfallenden Mauern Klangkunstwerke untergebracht waren, oder das aufgelassene Gefängnis in Murcia in Spanien bei der Manifesta 8, wo man die Wandmalereien der ehemaligen Häftlinge neben den Ausstellungsexponaten sehen konnte. Heuer gibt es wieder eine sehr spannende Location für die Manifesta, die am 2. Juni in Genk in Belgien eröffnet wird: in einem alten Bergwerksstollen.

Kulturjournal, 11.04.2012

Wenn ein Kurator wie Guauhtémoc Medina an der Spitze der Manifesta steht, darf man auf das Kunstevent besonders gespannt sein. Bereits bei der Venedig-Biennale 2009 konzipierte er eines der aufsehenerregendsten Kunstwerke und hinteließ eine eindeutige Handschrift.

In Venedig lud er die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles ein, einen der alten Palazzi am Lido zu bespielen. Die Terrazzoböden des gesamten Gebäudes waren mit schmutzigem Wasser aufgewischt, das das Blut von Menschen enthielt, die bei den Drogenkriegen in Mexiko getötet worden waren. Man konnte die Blutspuren nicht sehen, aber man wusste, dass sie da waren. Auf diese fast immaterielle Weise schuf Margolles eine verstörende Installation, die von der Gewalt der Drogenkriege erzählte.

Kunst und Realität

Ähnlich subtil und eindringlich möchte Medina die Kunstwerke bei der diesjährigen Manifesta gestalten. Auch wenn er die Namen noch nicht verrät, er hat nur 38 Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt eingeladen, die 25.000 Quadratmeter in der alten Kohlemine zu bespielen. Das sind viel weniger als bei bisherigen Manifestas und damit eine fast handverlesene Schar.

Wichtig ist Medina, mit dem globalen Biennalezirkus zu brechen, der die immergleichen Künstler wie beliebige Fischschwärme rund um die Welt schickt. Er setzt auf Sorgfalt, es habe ja auch keinen Sinn, eine Ausstellung mit 100 Stunden Videofilmen zu zeigen, für die man fünf Tage brauchen würde, um sie alle anzusehen, meint er.

Medina möchte, dass die Manifesta wirklich ein Ort der Recherche wird, der auch die ortsansässige Bevölkerung involviert und den Zusammenhang von Kunst und Realität neu verhandelt, daher wird es inhaltlich sehr stark um die Region gehen, in die in den 1920er Jahren für den Kohleabbau Arbeitskräfte importiert wurden: aus Italien, der Türkei oder Marokko. Dementsprechend multikulturell ist die heutige Bevölkerung.

Nach dem Schließen der Kohleminen lockte die Regierung in den 1960er Jahren eine der größten Autoproduktionen der Firma Ford hierher, in der die Bergleute Arbeit fanden. Medina sagt, geschlossen wurden die Bergstollen damals nicht, weil sie zu gefährlich wurden, sondern weil sie zu teuer geworden wären.

Auseinandersetzung mit dem Thema Energie

In Europa wird gewöhnlich angenommen, dass die ozonschädliche Kohle nur mehr einen geringen Teil der Energieversorgung ausmacht, tatsschlich verbraucht die Menschheit mehr Kohle denn je in der Geschichte - die USA und vor allem China und Afrika.

Eine spannende Auseinandersetzung mit dem Thema Energie verspricht diese Manifesta zu werden. Die Manifesta ist bis 30. September 2012 zu sehen.

Textfassung: Ruth Halle

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Manifesta 9