Der Vampirmythos heute
Dracula und die Folgen
Die Musik der "Kinder der Nacht", von der Bela Lugosi alias Dracula spricht, tönt bis heute. Unzählige Vampirromane wurden in den letzten 100 Jahren veröffentlicht, eine Fülle an Vampirfilmen und -serien gedreht. Der Markt müsste gesättigt sein, doch der Trend scheint zu keinem Ende zu kommen.
8. April 2017, 21:58
Bestes Beispiel: Regisseur Jim Jarmusch sorgte kürzlich für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sein nächster Film eine Vampirromanze sein wird. "Only Lovers Left Alive", so der Titel, natürlich mit Starbesetzung.
Schauspiel-Star Johnny Depp dürfte ebenfalls das Vampirfieber gepackt haben: Im Sommer wird er in Tim Burtons Horror-Komödie "Dark Shadows" als verfluchter Blutsauger zu sehen sein und Berichten zufolge gibt er einen Vampirjäger in einer Walt-Disney-Produktion. Tim Burton wiederum bringt neben dem Film mit Johnny Depp noch einen weiteren in unsere Kinos: "Abraham Lincoln. Vampire Hunter". Darin macht er den 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu einer Art Vampirjäger-Superhelden. Beispiele wie diese könnten hier noch in Unmengen aufgezählt werden.
Konkurrenz zu Frankenstein
Der Vampirmythos lebt seit der Veröffentlichung von Bram Stokers "Dracula". Jedoch ist dieser Roman - wie fälschlicherweise oft angenommen - nicht die "Mutter" aller Vampirromane. Die erste Vampirerzählung der Literaturgeschichte schrieb der Brite John Polidori: "The Vampyr". Entstanden ist diese 1816 in einer stürmischen Sommernacht am Genfer See. In der Villa Diodati lud der Legende nach Lord Byron zu einem dichterischen Wettstreit. Damals waren Schauergeschichten gerade groß in Mode und eine ebensolche galt es zu verfassen. Das berühmteste Ergebnis dieser Nacht ist wohl "Frankenstein" von Mary Shelley. John Polidori schuf die Figur des Lord Ruthven, ein vornehmer Aristokrat und Verführer. Der moderne Vampir war geboren.
Um diese "Geburtsstunde" besser zu verstehen ein kurzer Rückblick auf den im 18. Jahrhundert herrschenden Vampiraberglauben in Europa, wie der selbsternannte Vampirologe Rainer M. Köppl in seinem Buch "Der Vampir sind wir" schreibt:
Zitat
In Mähren, Ungarn und auf dem Balkan werden zahlreiche Gräber geöffnet. Die Untoten hätten in ihren Gräbern laut geschmatzt, heißt es in historischen Zeugenaussagen; sie seien nachts aus ihren Gräbern gekommen, um den Lebenden das Blut auszusaugen, worauf diese rasch dahingesiecht seien und nun ebenfalls als Untote umgingen. Vampirkommissionen finden immer wieder unverweste oder gar blutgefüllte Leichen, die sodann gepfählt, enthauptet und verbrannt werden, damit der Spuk ein Ende habe. Nicht nur das einfache Volk wird von diesem Vampirfieber erfasst, sondern auch Ärzte, Professoren und Theologen verfallen dem plötzlich aufflammenden Wahn.
Diese Hysterie führte sogar so weit, dass Kaiserin Maria Theresia ihren Leibarzt Gerard van Swieten damit beauftragte, diese Vorfälle wissenschaftlich zu untersuchen und dem Aberglauben ein Ende zu bereiten. Übrigens: Van Swieten soll Bram Stoker als Vorbild für seinen Vampirjäger Van Helsing gedient haben, aber das nur nebenbei bemerkt.
Legendärer "Nosferatu"
Vampire waren im damaligen Aberglauben unheilbringende Untote, nach Blut dürstende Monster - heute wahrscheinlich eher mit Zombies vergleichbar. Polidori setzte sozusagen neue Maßstäbe, als er seinen Vampir zum attraktiven Bonvivant machte und damit auch Bram Stoker zu dessen Dracula inspirierte. Und Dracula wiederum wurde zum Archetyp des Vampirs, wie wir ihn heute kennen.
Schon als der Film noch in den Kinderschuhen steckte, griffen die Regisseure nach dem Vampirthema. Der erste Vampirfilm erschien 1909, die erste Langspielfassung 1912. Und 1922 schrieb Friedrich Murnau mit seinem "Nosferatu" Filmgeschichte.
Neun Jahre später brachte Tod Browning seinen Dracula mit Bela Lugosi in der Hauptrolle in die Kinos. Lugosis Dracula gab nicht nur erstmals Töne von sich, er prägte außerdem das Bild des Vampirs: blass, dunkle Haare, elegant gekleidet, nicht zu vergessen der schwarze Umhang mit Stehkragen. Mit Aufkommen des Farbfilms wurde die Innenseite dieses Umhangs rot. Dementsprechend war auch immer mehr Blut auf der Leinwand zu sehen.
Zitat
Wenn wir die Vampire beißen und saugen lassen, dann fließt Blut, was sonst? Sollen die Vampire Wasser oder Muttermilch trinken? Blut ist ein besonderer Saft, das wissen wir nicht erst seit Goethes "Faust".
Ein besonderer Saft
Wie besonders dieser Saft sein kann, wird in dem Film "Andy Warhols Dracula" herrlich parodiert: Udo Kier gibt darin einen sterbenskranken, ausgehungerten Dracula, den nur das "reine" Blut von Jungfrauen heilen kann. Trinkt er "unreines" Blut, muss er sich übergeben. Dass das Trinken von Blut für Vampire eine fast unbeschreibliche Ekstase darstellt, erfährt man in den "Vampir Chroniken" der Schriftstellerin Anne Rice:
Zitat
"Töten ist keine alltägliche Handlung", sagte der Vampir. "Es ist nicht nur so, dass man sich am Blut satt trinkt (...), man erfährt das Leben eines anderen, und auch das Dahinschwinden dieses Lebens durch das Blut. Für mich ist es immer wieder die Erinnerung an das Vergehen meines eigenen Lebens, an damals, als ich das Blut aus Lestats Adern saugte und sein und mein Herz schlagen hörte. Es ist immer wieder das feierliche Begehen dieses Erlebnisses; denn für Vampire ist dies das entscheidende Erlebnis."
Anne Rices melancholisch-sensibler Vampir Louie scheint fast schon zu menschlich: Er ist hin und hergerissen zwischen Moral und Verlangen - eine Thematik, die auch bei Stephenie Meyers Welterfolg "Twilight" eine große Rolle spielt.
In der Dämmerung
Ein 17-jähriges Mädchen verliebt sich in einen Vampir, der sich selbstironisch als Vegetarier bezeichnet, da er sich nur von Tierblut ernährt. Die sexuelle Anziehungskraft ist enorm, jedoch bedeutet jeder Kuss auch die Gefahr des Kontrollverlusts des Vampirs, denn das Verlangen nach dem Blut der Geliebten ist groß. Trotz des weltweiten Erfolgs wird "Twilight" von vielen Vampir-Fans verpönt.
"Vampire, die im Sonnenlicht glitzern? Das sind keine Vampire, das sind Aliens", schrieb ein Vampir-Fan in einem Internet-Blog. Und sogar in der erfolgreichen US-amerikanischen Serie "The Vampire Diaries" macht sich Vampir-Bösewicht Damon über "Twilight" lustig. Auf die Frage eines Mädchens, warum er denn nicht im Sonnenlicht funkelt, antwortet er trocken: "I live in the real world with vampires burn in the sun."
Im 21. Jahrhundert angekommen
Vampire sind die Frauenhelden dieser Zeit. Natürlich hatte auch Bela Lugosi viele weibliche Fans, die sich in seinen dämonischen Blick verliebten. Doch dank "Twilight" & Co sind die Vampire (auch die weiblichen) im 21. Jahrhundert angekommen. Sie leben fast wie du und ich, hören Musik, kochen italienisch, sehen gut aus, sind irgendwie mysteriös, gut im Bett und haben ein schlechtes Gewissen bezüglich ihrer Lust nach Blut.
In Charlaine Harris' Romanreihe rund um Sookie Stackhouse - der Vorlage zur Fernsehserie "True Blood" - wollen Vampire sogar Teil unserer Gesellschaft werden, da in Japan synthetisches Blut entwickelt wurde und somit kein Menschenblut als Nahrung mehr notwendig wäre.
Der Vampirmythos wird mit jeder Autorin und jedem Autor neu erfunden. Manche brennen in der Sonne, manche können dein Haus nur dann betreten, wenn sie von dir eingeladen werden, manche können fliegen und manche Gedanken lesen. Allen gemein ist, dass sie seit Dracula immer menschlicher geworden sind. Und so scheint Rainer M. Köppls These nur logisch, die besagt: Der Vampir sind wir.
Service
Rainer M. Köppl, "Der Vampir sind wir", Residenz Verlag
Residenz - Der Vampir sind wir