Wahl zwischen zwei Lagern
Präsidentenwahl in Ägypten
Über 50 Millionen Ägypter sind aufgerufen, den ersten Präsidenten seit dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak zu wählen. Es ist eine entscheidende Weichenstellung, welche Richtung Ägypten in den nächsten vier Jahren einschlagen wird.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 23.5.2012
Offenes Rennen
Wer wird das Rennen machen? Amru Musa, ehemaliger Generalsekretär der Arabischen Liga und einstiger Außenminister Mubaraks, versucht mit seiner politischen Erfahrung zu punkten. Aber ihm haftet das Manko an, ein Mann des alten Regimes zu sein. Oder der Muslimbruder Muhammad Mursi, der vor seinen Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung am Suezkanal von der Notwendigkeit spricht, Religion und Politik miteinander zu vermischen. Oder vielleicht die dritte Alternative, Abdel Monem Abul Futuh, der wegen seiner liberalen Ansichten er letztes Jahr aus der Muslimbruderschaft ausgeschlossen worden war und sich als Präsidentschaftskandidat selbstständig gemacht hat. Er gilt auch als ein Mann, der von Anfang an auf dem Tahrir-Platz aktiv mitgearbeitet hat.
Erstmals freie Wahl
Für den prominenten ägyptischen Politologen Hassan Nafaa kann man die Bedeutung dieser Wahlen gar nicht hoch genug einschätzen. Es ist das erste Mal in der 7.000-jährigen Geschichte der Ägypter, dass sie die freie Auswahl haben ihre politische Führung unter mehreren Kandidaten in einer freien und transparenten Wahl zu bestimmen. Und es ist das erste Mal, das die Ägypter einen Präsidenten wählen, ohne den Sieger im Voraus zu kennen. Die Ägypter haben die Wahl zwischen zwei Lagern, erklärt er. Sie könne zwischen dem islamischen Lager wählen und dem das das alte Regime repräsentiert.
Wenn Musa und das alte Lager gewinnt, dann heißt das, das das alte Regime in neuen Gesicht wiedererfunden wird. Wenn die Muslimbrüder gewinnen, dann bedeutet das, dass die Islamisten alle politischen Institutionen vom Parlament zum Präsidenten kontrollieren. Das könnte eine große Polarisierung innerhalb Ägyptens zur Folge haben.
Abul Futuh fällt für den Politologen aus dem Rahmen. Der liberale Aussteiger aus der Muslimbruderschaft würde dem Land eine neue Richtung geben, glaubt der Politologe. Aber auch Abul Futuh ist umstritten: Für die einen ist er zu liberal, für andere ist er doch ein verkappter Muslimbruder.
Beginn einer neuen Phase
So bleibt völlig offen, welchem Kandidaten die Ägypter mehrheitlich ihr Vertrauen schenken werden. Viele Ägypter sind von den Islamisten, die sie mehrheitlich vor wenigen Monaten ins Parlament gewählt hatten, enttäuscht. Dennoch werden dem Kandidaten der Muslimbrüder Mursi Chancen zugerechnet. Oder werden sich die Ägypter in ihrer Hoffnung nach stabilen Verhältnissen wieder den bekannten Gesichtern des alten Regimes wie Amru Musa zuwenden? Oder werden sie eine dritte Alternative suchen? Wie immer die Wahl ausgeht, für den Politologe Nafaa bricht damit in Ägypten eine neue Phase an: "Der Präsident wird das Herzstück des politischen Lebens werden. Das macht die Bedeutung dieser Wahlen aus."