Syrien-Konflikt: Türkei fürchtet überschwappen
Viele Menschen in Syrien können nicht aus den Bürgerkriegsgebieten flüchten. Wer kann, versucht es. Jene, die Glück gehabt haben, haben es in die Türkei geschafft. Im Grenzgebiet haben die Türken Zeltstädte eingerichtet. Die anfangs große Hilfsbereitschaft lässt langsam nach. Es wird befürchtet, dass der Konflikt überschwappen könnte.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 21.6.2012
Aus der türkisch-syrischen Grenzprovinz Hatay berichtet
Syrienfreundliche Bevölkerung
Die USA und Russland arbeiten offenbar gemeinsam auf einem Übergangs-Regime, das den belagerten Diktator Assad ablösen soll. Wie lange das dauern wird und ab das zu einem Ende der Gewalt führen wird, ist allerdings noch nicht absehbar. In der Zwischenzeit wachsen bei der Bevölkerung in der angrenzenden Türkei die Befürchtungen, dass der Konflikt übergreifen könnte. Denn in der Grenzprovinz Hatay leben überwiegend Aleviten, die zumindest ihrer Religion und Herkunft nach dem syrischen Präsidenten nahe stehen.
Stimmung umgeschlagen
Vor einem Jahr, als die ersten syrischen Flüchtlinge über die türkische Grenze
kamen, wurden sie mit offenen Armen aufgenommen. Die Bewohner von Yayladag halfen wie sie konnten, um die heimatlos gewordenen Familien zu unterstützen. Mit Lebensmitteln, Kleidern, Zigaretten.
Vieles von dieser spontanen Nachbarschaftshilfe funktioniert immer noch. Beim Eingang des größten Zeltlagers werden fast jeden Tag Obst und Gemüse abgeladen. Und doch hat sich die Meinung zu den Flüchtlingen aus Syrien spürbar verändert. Vor allem in der nahe liegenden Stadt Hatay hört man immer mehr kritische Stimmen. Bülent ist ein Geschäftsmann, der zwischen Hatay und Passau pendelt. Seine Familie lebt hier an der syrischen Grenze. Sie sind Aleviten, wie die meisten Menschen in Hatay. Aleviten, Sunniten, Christen und Juden haben in Hatay Jahrhunderte lang gut zusammen gelebt. Aber die syrischen Flüchtlinge könnten dieses Gleichgewicht bald kippen lassen, befürchtet Bülent. Denn bei ihnen dominieren die Moslembrüder. Und die würden nichts Gutes im Schilde führen.
Furcht vor Manipulation
Dabei sind die Flüchtlinge von Yayladag selbst sehr unterschiedlich. Junge Männer mit langen Bärten und streng verhüllte Frauen sind unter ihnen ebenso zu sehen wie Andere, modern wirkende Leute, die sich von der Ortsbevölkerung kaum unterscheiden. Yassin ist mit seiner Frau, den beiden Kindern, den Eltern und Schwiegereltern bei Nacht Über die Grenze gekommen. In Syrien hat er in einem Gymnasium unterrichtet, hier versucht er den Kindern der geflüchteten Familien ein Stück Schulalltag zu bieten. Doch die Kinder beschäftigt etwas Anderes: Unsere Kinder haben so vieles erlebt. Sie verstehen schon viel von Politik. Und wenn wir über unsere baldige Rückkehr nach Syrien reden, dann sagen sie: Wir gehen erst wenn Assad weg ist. Nach Ansicht vieler Aleviten in Hatay werden viele dieser Flüchtlinge aber politisch manipuliert, auch von der türkischen Regierung, die den Sturz Assads erzwingen wolle.
Angst vor Überschwappen des Konflikts
Dass in Syrien eine überwiegend sunnitische Rebellenarmee gegen einen alevitischen Diktator kämpft, beunruhigt die Aleviten in der Türkei. Die Weltpresse würde aus Syrien einseitig berichten, befürchten sie. Die Brutalität der Rebellenarmee werde oft übersehen. Hinter dieser Kritik steckt wohl die Angst, dass mit den Flüchtlingen auch ein religiöser und ethnischer Konflikt über die Grenze kommt, den die alevitische Minderheit in der Türkei
zu spüren bekommt.