Venezuela ohne Hugo Chavez: Was wäre, wenn ...

Knapp drei Monate vor der Präsidentschaftswahl in Venezuela tobt bereits der Wahlkampf. Amtsinhaber Hugo Chavez kämpft noch mit den Folgen einer Krebserkrankung. Er behauptet, er sei vollständig geheilt. Sein Herausforderer Henrique Capriles ist das genaue Gegenteil von Chavez: jung, sportlich und liberal. Chancen hat Capriles trotzdem kaum.

Mittagsjournal, 14.7.2012

Venezuelas Politik hängt von einer Person ab: Chavez

Rein theoretisch wird Hugo Chavez die Präsidentschaftswahl am 7. Oktober gewinnen. Doch was würde passieren, wenn er das Handtuch werfen muss, wenn er aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht mehr antreten kann, oder ganz einfach die Wahl verliert? Der venezolanische Soziologe Edgardo Lander ist Professor an der Universität von Caracas und meint, die Gesellschaft in seinem Land habe sich verändert. Selbst ohne Chavez würde das Leben in Venezuela so weitergehen wie bisher.

Doch das politische System in Venezuela habe schwächen, meint Lander: "Die Hauptschwäche des politischen Systems in Venezuela ist, dass es nur von einer Person abhängt. Zwar hat die Person Chavez viele Veränderungen hervorgerufen, doch hat man im letzten Jahr mit seinen zwei Krebserkrankungen gesehen, dass auch er sehr schnell verschwinden kann. Der große Fehler seiner Partei war es, dass man verabsäumt hat, einen Nachfolger aufzubauen."

Chavez-Anhänger überall

Doch jetzt hat sich Hugo Chavez anscheinend von seinem Krebsleiden erholt, Anfang Juli ist er im Fernsehen aufgetreten und hat behauptet, er sei zu 100 Prozent geheilt. Ob das wirklich stimmt, wisse niemand, sagt Professor Lander. Es bestehe natürlich die Möglichkeit, dass er entweder nicht antreten kann oder schlicht und einfach, wie es in jeder Demokratie passieren kann, die Wahl verliert. Doch selbst das wäre für Lander keine Katastrophe.

Würde Chavez tatsächlich verlieren, würde das auf keinen Fall die Gesellschaft und die Machtverhältnisse umkrempeln. Denn die Chavez-Partei habe immer noch eine sehr breite Mehrheit im Parlament, der oberste Gerichtshof bestehe größtenteils aus Chavez-Anhängern, die Wahlbehörde aus vielen Mitgliedern der Chavez-Partei, erläutert Lander die politische Streuung in Venezuela. "Sollte also Chavez nicht mehr an der Macht sein, gäbe es dennoch eine starke Infrastruktur. Es kommen auch Gouverneure und Bürgermeister dazu, die der Chavez-Partei angehören", sagt Lander.

Gegenkandidat ist vor allem eines: gesund

Die Opposition hat sich nun auf einen Kandidaten geeinigt. Es ist der ehemalige Gouverneur von Miranda, Henrique Capriles. Aber er kämpfe auf verlorenem Posten. Er versuche hauptsächlich, seine Jugend ins Spiel zu bringen, sagt der Soziologe: "Er ist fast vierzig, er sieht jung aus, ist aktiv und voller Energie. Sein Wahlkampf basiert darauf zu zeigen, dass er jung und gesund ist. Er fährt durchs Land, spielt mit Jugendlichen Fußball oder Basketball."

Capriles große Schwäche ist dem Soziologen Lander zufolge, dass er nicht sehr gut mit der Bevölkerung kommunizieren könne. Capriles sei nie Teil des Alten politischen Systems von vor 15 Jahren gewesen, was ein großer Vorteil ist. Er gehöre vielmehr zu einer neuen liberal-konservativen Kultur, die es noch nie in Venezuela gegeben hätte, so Lander.

Schwierige Zeiten wegen Brasilien und China

Aber selbst wenn Chavez die Wahl gewinnt, müssten sich die Bewohner Venezuelas auf schwierige Zeiten gefasst machen, prognostiziert Edgardo Lander: "Die Rolle Venezuelas hat sich in den letzten Jahren geändert, denn Brasilien wird politisch und wirtschaftlich immer stärker. Brasilien hat, was die von Chavez gewünschte Führungsrolle in Südamerika betrifft, Venezuela auf den zweiten Platz verdrängt."

Außerdem werde es in der Zukunft sicherlich Konflikte zwischen Venezuela und China geben, meint Lander. Denn China hat riesige Investitionen in die venezolanische Ölindustrie getätigt und Kredite an Venezuela vergeben. Diese würden in Öl zurückbezahlt. In den nächsten Jahren würden die venezolanischen Politiker entdecken, dass die Grenzen nicht klar gezogen sind, wenn es darum geht, wer die Imperialisten sind und wer nicht, sagt Lander.

Doch bevor alle diese Probleme Realität werden, konzentrieren sich noch alle auf den 7. Oktober. Da wählt Venezuela. Und aller Voraussicht nach wird Hugo Chavez für weitere sechs Jahre im Amt bleiben.