Studie: Ratingagenturen lösten Krise aus
Die renommierte Wirtschaftsuniversität HSG St. Gallen geht jetzt hart ins Gericht mit den Ratingagenturen. Wirtschaftswissenschafter haben die letzten elf Jahre analysiert und kommen zum Schluss, dass viele Herabstufungen europäischer Länder willkürlich waren und als Ursache für die europäische Schuldenkrise anzusehen sind.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 26.7.2012
Schweiz-Korrespondentin Raphaela Stefandl hat mit einem der Verfasser der Studie, Manfred Gärtner, gesprochen.
"Massive Differenzen"
Studienverfasser Manfred Gärtner von der Hochschule St. Gallen beobachtet mit seinem Team seit der Einführung des Euro volkswirtschaftliche Daten wie Staatsverschuldung, Inflation oder Rendite bei Staatsanleihen aus 25 OECD-Ländern. Er hat nun die Daten mit den Entscheidungen der Ratingagenturen verglichen - das Ergebnis: Die massiven Herabstufungen verschiedener Länder seit 2008 passen nicht dazu. Als diese vor der Krise beurteilt wurden, habe man einen ganz anderen Maßstab angesetzt, sagt Gärtner und nennt als Bespiel Irland: "Aufgrund der früheren Ratings hätte Irland nur um eine halbe Stufe herabgestuft werden dürfen. Tatsächlich ist es um sieben Stufen herabgestuft worden. Bei anderen Ländern ist das ganz ähnlich oder noch ausgeprägter. Hier geht es nicht nur um kleine Fehler, sondern um ganz massive Differenzen zwischen dem, was die Ratingagenturen tun und was ihr früheres Verhaltensmuster selber vorgegeben hätte."
Die Studie kommt außerdem zum Schluss, dass es auf dem Markt der Staatsanleihen mehrere Gleichgewichte gibt. Das erste, gute Gleichgewicht, geht mit tiefen Zinsen und guten Ratings einher. Österreich gehöre dazu. Im schlechten Gleichgewicht können die Zinsen nicht mehr bezahlt werden. Dazwischen liegt eine Schwelle; gerät ein Land darüber, setzt der Sog Richtung Insolvenzgefahr ein.
Schuldenböcke zur Ablenkung
Schuldenböcke zur Ablenkung
Der Wirtschaftsprofessor geht bei den Bewertungen mit den Ratingagenturen hart ins Gericht: "Ratingagenturen sind ein Teil der Finanzindustrie. Und sie sind natürlich erschrocken, als sich die Welt auf der Höhe der Finanzkrise einig war, dass man die Finanzmärkte zurückstutzen muss. Und das können sie nicht wollen, denn sie verdienen dort ihre Brötchen. Und deswegen haben sie meiner Meinung nach einen neuen Sündenbock aufgebaut, auf den sie fast täglich mit neuen Horrormeldungen eindreschen. Die Finanzmärkte sind aus der Schusslinie und das Problem sind jetzt die angeblich über ihre Verhältnisse lebenden Staaten." Das gehe in Richtung Rufschädigung für Staaten, die noch dazu sehr teuer sei, sagt Gärtner. "Privat können wir auch nicht Meinungen in die Welt setzen, ohne für die Konsequenzen gerade zu stehen. Und die Ratingagenturen sagen genau das: Das sind nur Meinungen und der Markt muss wissen, was er daraus macht."
Nach Ansicht des Wirtschaftsprofessors Gärtner sollt es für Staaten vor Gericht ein Klagerecht geben, um Schadenersetzforderungen für höhere Zinsen zu erwirken, die aufgrund der Bewertungen der Agenturen zu Buche stehen.