Debütroman von Anna Weidenholzer

Der Winter tut den Fischen gut

Was bleibt dem Menschen, wenn er gegen seinen Willen von den Fesseln der Arbeit befreit wird? Mit dieser Frage beschäftigt sich die österreichische Jungautorin Anna Weidenholzer in ihrem Romandebüt "Der Winter tut den Fischen gut".

Arbeitslos

Die Protagonistin Maria Beerenberger, Ende vierzig, verliert als älteste Verkäuferin eines Modeladens ihren Job und sieht sich der erbarmungslosen Wirklichkeit des Arbeitsmarktes ausgeliefert. Aber nicht die Kündigung, sondern die Streichung des Arbeitslosengeldes der fortdauernd beschäftigungslosen Maria markiert den Beginn des Romans, für den Anna Weidenholzer eine besondere Erzählform gefunden hat, denn die Biografie der Protagonistin wird rückwärts erzählt.

Kapitelweise erfährt der Leser so mehr von dem Leben der Hauptfigur, das sich Schritt für Schritt zu einem Gesamtbild fügt - Maria als Witwe, Maria als Ehefrau, als Schwester oder zum ersten Mal verliebt. Wie die 1984 in Linz geborene Autorin zu dieser literarischen Form gefunden hat, erzählt sie im Interview:

"Ich hab für das Buch mit arbeitslosen Frauen gesprochen und es war jedes Mal dieselbe Ausgangssituation. Ich hab mich mit einer Frau getroffen, von der ich gewusst habe, sie ist arbeitslos, wie sie heißt, vielleicht noch, als was sie gearbeitet hat, und sonst nichts. Und man trifft sich dann und spricht und das waren dann immer so kleine Mosaike, die am Schluss ein Ganzes zusammengesetzt haben und am Ende war's dann immer ein anderes Bild von dieser Person und nicht nur dieses Bild von der arbeitslosen Frau, sondern weit mehr."

Ausgestoßen

Diese Gesprächssituation nachzeichnend, beschreibt Weidenholzer die alltägliche Geschichte einer schlichten Frau im kleinstädtischen Milieu, die nun durch den Verlust des Arbeitsplatzes zur gesellschaftlichen Außenseiterin und als Sozialschmarotzerin gebrandmarkt wird. Aufgrund ihres Alters ist sie auf dem Arbeitsmarkt so gut wie wertlos. Die zynischen Floskeln von AMS-Trainern rufen in Maria Schuld und Scham hervor.

Einsam

An den Rand der Gesellschaft gedrängt, verliert Maria nach und nach ihre sozialen Kontakte. Am liebsten schlägt sie ihre leeren Stunden auf einer Bank am Kirchplatz tot, dazwischen hagelt es Bewerbungsabsagen. Bald wird klar, dass die Protagonistin weit mehr als nur ihre Arbeit verloren hat.

"Es ist ja oft die erste Frage, wenn man jemanden kennenlernt: Was arbeitest du? Und ich glaube, dass das sehr entscheidend ist im Leben, was man wo arbeitet", meint Anna Weidenholzer. "Und wenn man dann diesen Arbeitsplatz verliert, dass man nicht nur sein soziales Umfeld verliert, sondern auch ein Stück Identität und Tagesstruktur.

Um der Leere entgegenzuwirken, entwirft die Protagonistin Tagespläne, in denen sie ihre Stunden mit Tätigkeiten füllt. Und Maria setzt sich ein Ziel: Sie will eine Kaulquappe, der sie den Namen Otto gibt, aufziehen und, bis diese ein Frosch ist, wieder Arbeit gefunden haben. Doch der Leser hat schon zuvor von Ottos Tod erfahren und kennt daher die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens.

Gescheitert

"Ja, es ist einer dieser Versuche von Maria", so Weidenholzer. "Auch mit den Selbstoptimierungsbüchern in diese Richtung. Sie verfällt ja auch immer mehr in dieses Selbstoptimierungsdenken und da spielt Otto halt auch diese Rolle, dass man sich Ziele setzen soll, das ist einer dieser klassischen Ratgebersätze und Maria scheitert immer mehr an diesen Zielen oder an diesen Ratgebersätzen. Das Blöde ist, wenn sie daran scheitert, dass es immer auf sie zurückfällt und sie dann die Schuld trägt oder sich selbst die Schuld gibt. Das ist auch das Schlimme an der Selbstoptimierungsliteratur."

Solche Szenen sind durchdrungen von Traurigkeit, der dumpfen Ahnung von der Unfreiheit des Menschen, gleichzeitig aber wird die Schwere des Stoffes durch die ihm anhaftende Skurrilität konterkariert. Mit einer Sprache, die so einfach wie das Gemüt der Protagonistin ist, gelingt es der Autorin, ihre Geschichte einfühlsam und ohne Arroganz zu erzählen. Nur folgerichtig scheint es, dass Weidenholzer ihre Heldin letztendlich nicht aufgibt, sondern auf das Prinzip Hoffnung setzt:

"Mir war's auch wichtig, dass auch die Arbeitslosigkeit nicht das Ende von dem Buch ist, also dass es nicht der Schlusspunkt ist. Ich glaube, dass Hoffnung da ist zum einen dadurch, dass es ja mit dem Ende beginnt. Und ich glaube solange Maria da ist, ist immer irgendwo Hoffnung da, und Marias Hoffnung wäre vielleicht, dass wer kommt und ihr zuhört und dass sie vor allem ernst genommen wird und das ist diese Hoffnung, die Maria noch hat."

Anna Weidenholzer hat den Verlierern der Leistungsgesellschaft zugehört - und noch mehr: Sie hat ihnen eine authentische Stimme gegeben.

Service

Anna Weidenholzer, "Der Winter tut den Fischen gut", Residenz Verlag

Residenz - Der Winter tut den Fischen gut