Ägypten: Kritik an Verfassung

"Das ägyptische Volk ist Teil der arabischen und islamischen Nation." Dieser Satz im Verfassungsentwurf sorgt seit Monaten für Streit. Liberale, unabhängige und christliche Parteien lehnen es ab, dass die neue Verfassung den Islam sogar als Grundlage für den Staat deutet. Den Salafisten kann die Verfassung gar nicht islamisch genug sein.

Mittagsjournal, 12.10.2012

Nadja Elgendy

Wie islamisch wird die Verfassung?

Der Vorschlag der Salafisten, einer ultrakonservativen islamistischen Partei, der neuen Verfassung einen islamischeren Touch zu geben, stößt bei den Liberalen, Linken und unabhängigen Oppositionellen auf heftige Kritik. Und die Muslimbrüder betonen immer wieder, einen Kompromiss finden zu wollen, lassen jedoch offen, wie dieser aussehen könnte.

Inzwischen wird sogar um einzelne Worte gestritten. Die Salafisten wollen, dass der Islam die einzige Quelle der ägyptischen Verfassung ist. Zum Beispiel soll in Artikel zwei der Verfassung statt "Prinzipien der Scharia" – also den Prinzipien des islamischen Rechts – allein das Wort "Scharia" stehen. Diese Diskussion hält der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Rechtsprofessor an der Amerikanischen Universität Kairo, Abdullah Al-Ashaal, für Haarspalterei: "Was heißt eine Verfassung ist islamisch oder nicht islamisch? Eine Verfassung ist eine Verfassung. Wenn wir zum Beispiel ein Haus bauen, kann das Haus dann islamisch oder nicht islamisch sein? Nein, es kann ein stabiles, gesundes Haus sein. Ob es von einem Muslim oder Nicht-Muslim gebaut wird, spielt hier keine Rolle."

Umstrittene Schiedsstelle

Vorschlag zwei der Salafisten: Künftig soll die renommierte islamische Institution "Al Azhar" den Verfassungsgerichtshof ersetzen und somit entscheiden, ob Gesetze Islam-konform sind oder nicht. Vertreter liberaler und linker Parteien befürchten, dass die verfassungsgebende Versammlung, die ihrer Meinung nach aus zu vielen Salafisten und Muslimbrüdern besteht, aus Ägypten einen streng-islamischen Staat wie den Iran macht. Auch die Rechte der Frauen und der ägyptischen Christen seien in der neuen Verfassung gefährdet, so die Opposition.

Gespaltene Gesellschaft

Die hier aufkochenden Interessenskonflikte spalten die ägyptische Gesellschaft. Diese teilt sich immer schon in einen islamischen und in einen anti-islamischen Flügel, sagt der Rechtsexperte. Die Verfassung müsse aber für alle Ägypter sein, so Al-Ashaal: "Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Kopten und Muslimen. Für mich gibt es nur ägyptisch. Wenn jemand Ägypter ist, dann muss er alle Rechte bekommen."

Mittlerweile drohen liberale Politiker wie der ehemalige Außenminister Amr Moussa aus der verfassungsgebenden Versammlung auszutreten. Al-Ashaal hält das jedoch für die falsche Reaktion. Die Politik in Ägypten sei leider noch nicht reif genug, man sollte trotz aller Unterschiede gemeinsam am Erfolg der neuen Verfassung arbeiten können, so Al-Ashaal.