Vorgezogene Wahl in Israel

In dieser Nacht ist es offiziell geworden: Israel wird am 22. Jänner vorgezogene Parlamentswahlen abhalten. Es ist ein kontrollierter Ausstieg von Premier Benjamin Netanjahu: Er will damit einer Budgetdebatte ausweichen, seine guten Umfragewerte nützen und sich vom Volk eine Bestätigung für seine Iran-Politik holen.

Morgenjournal, 16.10.2012

Sparbudget würde Vorsprung gefährden

Seit mehr als 30 Jahren hat keine israelische Regierung so lange durchgehalten wie die jetzige – da konnte Benjamin Netanjahu es sich leisten, seine Amtszeit um ein paar Monate abzukürzen. Aber natürlich macht das der rechtskonservative Premier nicht aus purer Großzügigkeit, sondern es steckt ein Kalkül dahinter. In allen Umfragen liegt er nämlich weit vorne, wenn er jetzt mit seinen Koalitionspartnern über ein Sparbudget streiten müsste, würde er den Vorsprung gefährden – also sagt er sich: lieber zuerst wählen und erst dann unpopuläre Budgetkürzungen durchdrücken. Im Parlament wurde in dieser Nacht nun schon der Selbstauflösungsbeschluss durchgepeitscht, Wahltermin ist endgültig der 22. Jänner.

Erste "Wahlkampfrede"

Netanjahu hielt davor schon eine Art Wahlrede und zählte auf, was er für die großen Leistungen seiner Regierung in den letzten vier Jahren hält: Er habe Israels Wirtschaft gut durch die globale Krise manövriert, er habe angesichts der Unruhen in der arabischen Welt für Stabilität gesorgt, zum Unterschied zu seinem Vorgänger habe er keinen Krieg geführt, und er habe es geschafft, internationalen Druck gegen den Iran aufzubauen. "Wir haben die iranische Gefahr in der Welt auf die Tagesordnung gebracht, und heute lasten auf dem Iran beispiellose Sanktionen, die der iranischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen."

Ungeduldige Wähler

Keine Frage, Netanjahu wird versuchen, im Wahlkampf vor Allem über die Sicherheitspolitik und die hohe Diplomatie zu sprechen, ein Bereich, in dem er als erfahrener und kompetenter als alle seine Rivalen gilt. Allerdings, viele Menschen in Israel haben in den letzten zwei Jahren immer ungeduldiger signalisiert, dass sie auch über etwas anderes sprechen wollen, nämlich über die hohen Preise und über die ungerechte Verteilung des Reichtums – und das sind genau die Themen von Schelly Jachimowitsch, der relativ neuen Chefin der Arbeiterpartei: "Netanjahu schaut uns ins Gesicht und erzählt uns, dass es uns gut geht, dass die israelischen Bürger, die unter dem Druck zusammenbrechen, sich alles nur einbilden, in einer Fantasiewelt leben – aber er ist es, der in einer Fantasiewelt lebt."

Arbeiterpartei wieder erholt

Unter der Führung der früheren Journalistin Jachimowitsch hat sich die Arbeiterpartei, die beinahe schon am Ende war, wieder gefangen, laut Umfragen könnte sie sogar auf Platz zwei kommen. Wirklich am Ende scheint hingegen die Kadima zu sein, die Zentrumspartei, die in der Vergangenheit nacheinander von den Ex-Premiers Scharon und Olmert und von Ex-Außenministerin Livni geführt wurde – im jetzigen Parlament stellt sie mit 28 Mandaten noch die stärkste Fraktion, die Umfragen sehen vor einem Absturz auf weniger als 10 Mandate. Netanjahu wird also fast mit Sicherheit auch die nächste Regierung bilden – die große Frage wird sein, ob er sich seine Koalitionspartner mehr rechts oder mehr in der Mitte und links suchen wird.

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