Libanon: Angst vor Eskalation

Im Libanon herrscht höchste Anspannung nach einem schweren Bombenanschlag, bei dem gestern acht Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden. Bei einer Krisensitzung in Beirut berät die Regierung derzeit, wie sie die Krise eindämmen kann. Es besteht die Gefahr, dass der syrische Konflikt auf den Libanon überschwappt.

Mittagsjournal, 20.10.2012

Sensibles Zusammenleben gefährdet

Krisensitzung der libanesischen Regierung. Die Opposition fordert ihren Rücktritt. Mit einem Großaufgebot der Armee sollen Proteste und Ausschreitungen verhindert werden. Der gestrige Bombenanschlag hat im Libanon einen Nerv getroffen. Das sensible Zusammenleben der verschiedenen religiösen und politischen Gruppen im Libanon scheint gefährdet. Erinnerungen an den Bürgerkrieg, der das Land solange geplagt hat, sind erwacht.

"Wir müssen jetzt Einheit zeigen zwischen allen Gruppen im Libanon", sagt der libanesische Politiker Nicolas Senaoui. Jetzt müsse man im Libanon eine gemeinsame Botschaft aussenden. "Solche Taten lehnen wir ab. Der Libanon darf nicht als Spielfeld anderer missbraucht werden. Wir lehnen es ab, zurück in den Bürgerkrieg, zurück in die Spaltung zu gehen."

Syrien als Drahtzieher?

Auch der UNO-Sicherheitsrat und die USA haben den Libanon dazu aufgerufen, die Einheit zu wahren. "Was im Libanon nämlich schlimmer als der Bombenanschlag sein kann, ist die Reaktion darauf", sagt der amerikanische Libanonexperte Bilal Saab, "der syrische Konflikt hat in den letzten Monaten die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Libanon verstärkt. Die Bombe hat diese Anspannung jetzt klar zu Tage gebracht." Die meisten Libanesen sind überzeugt, dass Syrien hinter dem Anschlag steht.

Ziel des Anschlags war nämlich Wissam Al Hassan, der Chef des libanesischen Polizeigeheimdienstes. Er hat in den letzten Jahren zahlreiche Anschläge mit Syrien und der Hisbollah in Zusammenhang gebracht. Die Hisbollah, die derzeit im Rahmen einer Koalitionsregierung im Libanon regiert, steht unerschütterlich hinter dem syrischen Regime von Präsident Bashar al-Assad.

Syrischer Bürgerkrieg gefährdet ganze Region

Beobachter vermuten, mit dem Anschlag könnte Syrien nicht nur die Gegner des Regimes in der Region abschrecken wollen, sondern auch vom eigenen Konflikt ablenken. Die Kämpfe in Syrien fordern jede Woche mehrere hundert Menschenleben und haben sich von einem Freiheitskampf zu einem aussichtslosen Bürgerkrieg entwickelt. Immer mehr regionale Spieler von außen schicken ihre Kämpfer auf die eine oder die andere Seite der Schlacht und verwandeln den innersyrischen Konflikt immer mehr zu einem regionalen Problem.

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