James Ellroy - anders als gewohnt

Der Hilliker-Fluch

Zehn Jahre alt war der Junge, als seine Mutter in der südkalifornischen Kleinstadt El Monte, nahe Los Angeles, aufgefunden wurde: vergewaltigt, erwürgt und halbnackt am Straßenrand abgelegt. Wie ein Tierkadaver oder ein Stück Müll.

Die Mutter hieß Jean Hilliker, 42 Jahre alt, rothaarig. Wenige Jahre zuvor hatte sie sich von ihrem Mann scheiden lassen: Armand Ellroy, James Ellroys Vater. Der Mord an der Mutter wurde nie aufgeklärt.

In den 1990er Jahren hat der inzwischen zum prominenten Kriminalschriftsteller gewordene Ellroy selbst und mithilfe von ehemaligen Polizisten diesen "cold case" recherchiert: Ergebnislos, was den Fall betrifft, entstanden aber ist eine herausragende Mischung aus Kriminalroman und Ellroy'scher Autobiograpfe mit dem deutschen Titel "Die Rothaarige".

Jetzt, gut 15 Jahre danach, noch einmal dasselbe Thema: die eigene Kindheit, der Mord an der Mutter und die Folgen für das gesamte spätere Leben des Autors.

Kindlicher Todesfluch

Ausgangspunkt und Menetekel zugleich ist ein kindlicher Todesfluch, eine irgendeinem Märchen- und Sagenbuch entnommene Verwünschung, die der zwischen den Eltern hin- und hergerissene Junge gegen die Mutter ausstößt. "Der Hilliker-Fluch", für den sich Ellroy lange Zeit wenn nicht gar bis heute schuldig fühlt, und der hat dem Buch im Original wie in der Übersetzung auch den Namen gegeben. Versehen allerdings mit dem ebenso bedeutenden Untertitel: "My pursuit of women", ins Deutsche übersetzt als "Meine Suche nach der Frau". Züchtiger oder eher psychoanalytischer Singular im Deutschen versus originaler Faktentreue.

Aber das ist eine Nebensache, denn am Ende dieses autobiografischen Textes, in dem Ellroy über sich und das andere Geschlecht schreibt, führen die amourös-obsessiven Wege tatsächlich zur einen Frau zurück, gemäß der eigenen Vorgabe:

Die jetzige Lebensgefährtin Ellroys, der er auch das Buch gewidmet hat, sähe seiner Mutter verblüffend ähnlich. "Sie ist", Originalton Ellroy, "die alchemistische Transfiguration von Jean Hilliker und etwas noch Größerem". Bis es allerdings soweit kommt, muss der Leser eine "tour de force" durch James Ellroys Lebensgeschichte mit dem Schwerpunkt "Frauengeschichten" hinnehmen, um nicht zu sagen ertragen.

Exzesse

Müssen, hinnehmen und ertragen - leider treffen diese Wörter hier zu. "Der Hilliker-Fluch" ist ein außerordentlich disparates Werk. Was Kindheit und Jugend bis hin zu Ellroys literarischem Durchbruch Ende der 1980er Jahre mit dem Kriminalroman "Die schwarze Dahlie", jener außerordentlichen und unvergleichlichen Fiktion über einen authentischen und bestialischen Frauenmord im Hollywood der späten 1940er Jahre, anbelangt, werden Ellroy-Kenner nichts wirklich Neues erfahren.

Es sind die Geschichten von Kleinkriminalität und Drogensucht, von Voyeurismus und Krankheit, die der Autor schon mehrfach niedergeschrieben und erzählt hat. Was darauf folgt, sind Beziehungsabläufe inklusive einer gescheiterten Ehe, sind Nebenverhältnisse und Nervenzusammenbrüche - die Schilderung letzterer zählt übrigens zu den beeindruckendsten Passagen in diesem Buch - sind Medikamentenabhängigkeit und das tagelange Hocken oder Siechen im Dunkeln untermalt von klassischer Musik, von Beethoven bis Bruckner, und immer wieder Anne Sofie von Otter, die schwedische Mezzosopranistin, deren Konterfei sich Ellroy auf den Schreibtisch stellt und als Poster an die Wand nagelt.

Ellroys Ängste und Obsessionen

Wer sich von dieser Autobiografie auch so etwas wie einen Bericht aus der Ellroyschen Schreibwerkstatt, immerhin die des wohl bedeutendsten US-amerikanischen Krimiautors der letzten Jahrzehnte, erwartet, der wird bitter enttäuscht sein. Mehr oder minder lapidar werden die einzelnen Buchtitel und deren Erscheinen abgehandelt: von den zu Recht viel gefeierten L.-A.-Krimis, darunter "Stadt der Teufel" und "White Jazz", bis zur unnachahmlichen Trilogie über die mannigfaltigen Verknüpfungen von "Kalter Kriegs"-Politik und organisierter Kriminalität in den USA der 1950er, 1960er und 1970er Jahre mit Titeln wie "Ein amerikanischer Thriller" und "Ein amerikanischer Albtraum".

Nein. Hier geht es um Ellroy und die Frauen. Und auch das stimmt so nicht. Es geht um James Ellroy, um seine Ängste und Obsessionen, um seine Monomanie und Egozentrik. Auch das wäre noch hinnehmbar, ebenso wie sein schon zuvor und immer wieder erfolgtes "outing" als politisch konservativer wenn nicht gar reaktionärer Zeitgenosse.

Nicht hinnehmbar hingegen ist die Tatsache, dass dieser "Hilliker-Fluch" mit Fortdauer der Lektüre zunehmend redundant und damit langweilig wird. Noch dazu ist das sprachliche Niveau dieser Selbstbespiegelung meilenweit von dem entfernt, was sich James Ellroy in seinen Kriminalromanen selbst auferlegt hat. Und das kann nicht, das sei gleich gesagt, an der Übersetzung ins Deutsche liegen.

James Ellroy hat sich mit diesem Buch - so mutig die Introspektion auch gedacht gewesen sein mag - nichts Gutes getan. Vielleicht ist dieser sich selbst so bezeichnende "Höllenhund der Literatur" auch an jenem Punkt angelangt, an dem er alles gesagt und geschrieben hat. Das wäre schade, aber durchaus rechtens. Ein würdiger Schlusspunkt aber ist diese "Frauensuche" unter dem Menetekel des "Hilliker-Fluchs" nicht.

Service

James Ellroy, "Der Hilliker-Fluch. Meine Suche nach der Frau", aus dem Amerikanischen übersetzt von Stephen Tree, Ullstein Verlag

Ullstein - Der Hilliker-Fluch