Der Mythos "Django"
Gangsterfilm, Rachethriller, Blaxploitation - der Referenzrahmen von Quentin Tarantinos Kino ist unüberschaubar dicht. In all seinen Filmen stehen aber Figuren im Zentrum, die außerhalb der Legalität agieren. Und Tarantino stilisiert sie zu Ikonen: Uma Thurmans Racheengel aus "Kill Bill" und Brad Pitts Nazi-Jäger aus "Inglourious Basterds" personifizieren das Kino dieses Regisseurs. Das fordert Moral ein – und kämpft dafür mit ganz unmoralischen Methoden.
8. April 2017, 21:58
Insofern war es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis Quentin Tarantino dem Italowestern Tribut zollt: in den 1960er und 70er Jahren schießen sich Hunderte gesetzlose Revolverhelden durch das europäische Kino. Aber keiner hat einen vergleichbaren Abdruck auf der popkulturellen Landschaft hinterlassen wie Django. Nach seinem ersten Auftritt 1966 tummeln sich Dutzende Nachahmer auf den Leinwänden - und Django wird zu einer leicht wiedererkennbaren Kultfigur à la Indiana Jones. In "Django Unchained" unterzieht Quentin Tarantino den Mythos einer Revision – und verpflanzt ihn in die USA des 20. Jahrhunderts.
Tarantinos Hommage
Das Titellied ist dasselbe geblieben, aber ansonsten macht Quentin Tarantino gleich in den ersten Minuten klar, dass sein "Django Unchained" keine bloße Hommage an das Original aus dem Jahr 1966 ist: Ein Sklaven-Treck schleppt sich durch Texas. Die Fußketten rasseln, die Menschenhändler reiten auf Pferden voran.
Plötzlich schält sich die Silhouette eines Planwagens aus dem Dunkel. Der gut aufgelegte Mann auf dem Fahrersitz stellt sich als Dr. King Schultz vor. Er ist Zahnarzt und Kopfgeldjäger und will einen der Sklaven kaufen. Nach einer Meinungsverschiedenheit liegen seine Gegner tot auf dem Boden und der Doktor reitet davon. Auf dem Beifahrersitz hockt Django, oder wie er sich ab jetzt nennt: Django Freeman. Er soll King Schultz zu drei Brüdern führen, die auf Sklaven-Plantagen arbeiten und auf die ein hohes Kopfgeld ausgesetzt ist. Für den Doktor beginnt eine kommerzielle Unternehmung, für Django ist es eine Reise gen Selbstbestimmung und Freiheit.
Der Mann mit dem Sarg
"Django Unchained" verquickt den Mythos des gesetzlosen Rächers mit Tropfen aus dem Blaxploitation-Kino, dem Quentin Tarantino bereits in seinem Meisterwerk "Jackie Brown" gehuldigt hat. Die resultierende Mischkulanz verpflanzt er dann noch in den amerikanischen Süden des Jahres 1858 und macht "Django Unchained" damit auch zu einem grimmigen und nicht selten radikalen Kommentar auf impliziten und expliziten Rassismus und die traurige Geschichte der Sklaverei.
Aber auch der politisch subversive Subtext von Tarantinos Pop-Entwurf ist im Originalfilm verwurzelt: Sergio Corbucci inszeniert seinen "Django" 1966 nicht zuletzt als Kritik an der US-amerikanischen Politik zur Zeit des Kalten Kriegs. Rassistische Ausschreitungen und Hexenjagden formen darin den Nährboden für die extreme Selbstjustiz der Titelfigur. Dass "Django" nach seinem Erscheinen zu einem Kult-Phänomen wird, das liegt allerdings eher an Corbuccis kompromissloser Ästhetik: Der politisch links orientierte Soziologe stilisiert den Anti-Helden zur Ikone mit Hut, Ledermantel und unsauberem Bartwuchs. Dass Django dann auch noch einen Sarg hinter sich her zieht, in dem er ein Maschinengewehr versteckt, hilft mit, seinen Mythos zu zementieren.
Meilenstein für den Actionfilm
"Django" wird 1966 zu einem Überraschungserfolg und erweist sich als Meilenstein für den modernen Actionfilm. Ganz Western-untypisch werden darin Konflikte nämlich nicht zu einer Mann-gegen-Mann-Konfrontation zugespitzt, Django packt einfach sein Maschinengewehr aus und mäht gleich Dutzende Widersacher auf einmal nieder. Nicht umsonst findet man selbst in zeitgenössischen Actionfilmen Referenzen auf Corbuccis Klassiker: In "Terminator 3" findet etwa Arnold Schwarzenegger ein ganzes Waffenarsenal versteckt in einem Sarg.
"Django" wird aber bereits viel früher referenziert und kopiert: Findige Produzenten pappen den klingenden und kommerziell wertvollen Namen auf jeden Film, der auch nur im Entfernten etwas mit dem Original zu tun hat. Ein Killerhai-Thriller mit Franco Nero in der Hauptrolle wird zum "Dschungel Django", andere Italowestern werden flugs in "Django - Die Bibel ist kein Kartenspiel" oder "Django - Unbarmherzig wie die Sonne" umbenannt.
Revision des Mythos'
Aber es sind längst nicht nur Italowestern, auf die Sergio Corbuccis "Django" einen gewaltigen Einfluss ausübt. Die japanische Popkultur greift die Figur und ihre ikonische Erscheinungsform ebenso gerne auf. In Mangas und Anime-Serien begegnet man häufig weltabgewandten Figuren, die einen Sarg hinter sich herziehen - kein Wunder, immerhin gehören Rächerfiguren auch in der japanischen Popkultur zum Grundinventar.
Meister-Regisseur Takashi Miike dreht 2007 sogar einen ganzen Film zu den ästhetischen und phonetischen Beziehungen zwischen der westlichen und fernöstlichen Django-Rezeption: das knallige Pop-Pastiche "Sukiyaki Western Django" remixt Motive des Italowestern und solche des Samurai-Films. Quentin Tarantino tritt in einer Gastrolle auf und spricht in einer aus englischen und japanischen Versatzstücken zusammen gemischten Kunstsprache.
Quentin Tarantino gelingt mit "Django Unchained” eine fantastische und intelligente Revision des Mythos'. Letzten Endes bestätigt er damit auch die Universalität von Sergio Corbuccis Original-Entwurf. Denn eines ist sicher: Die Welt heute ist genauso schlecht wie die Welt gestern. Und solange sich daran nichts ändert, braucht das Kino seine Djangos.