Das Rinterzelt

Ein Zelt mit knapp 70 Metern Höhe und 170 Metern Spannweite steht im Nordwesten von Wien, und das seit über 30 Jahren. Es handelt sich um die "Abfallbehandlungsanlage" der MA48, also der Wiener Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft - besser bekannt ist es als Rinterzelt.

1980 eröffnet, wird das Rinterzelt immer noch mit dem Skandal um die betreibende Firma, die Rinter AG, die kurz darauf in Konkurs ging, assoziiert - welchen Zwecken genau es heute dient, ist jedoch weniger bekannt.

  • Zelt

    (c) Anna Soucek

  • Plastikflaschen

    (c) Anna Soucek

  • Plastikflaschen

    (c) Anna Soucek

  • Gebäude von aussen

    (c) Anna Soucek

  • Gebäude von aussen

    (c) Anna Soucek

  • Innenansicht

    (c) Anna Soucek

  • Mann vor Kunstwerk

    Andreas Lassy

    (c) Anna Soucek

  • Gebäude von aussen

    (c) Anna Soucek

  • Abfallbehandlungsanlage der Stadt Wien

    (c) Anna Soucek

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Kulturjournal, 01.02.2013

Kunststoffflaschen, Kompost, Elektroschrott, Haus- und Sperrmüll: Abfall wird im Rinterzelt nicht verbrannt, sondern sortiert, um dann als Recycling-Material andernorts weiterverarbeitet zu werden. In der riesigen Halle, in deren Mitte ein 68 Meter hoher Beton-Turm steht, sind verschiedene Abfallaufbereitungsanlagen aufgestellt. Diese Anlagen werden der Marktsituation angepasst - daher gibt es ständig Änderungen unterm Zeltdach.

Andreas Lassy, Betriebsleiter des Rinterzelts, führt zu einer mehrgeschossigen Anlage, die Kunststoffflaschen nach Farben und Inhalten trennt. Die Feinsortierung wird später manuell von Menschen in einem Container mit Fließbändern vorgenommen.

Im Inneren der Halle, wo es lärmt und rattert, werden im Jahr bis zu 450.000 Tonnen Abfall behandelt. Die 170 Meter breite, runde Halle ist durch ein großes Fenster im Verwaltungstrakt einsehbar. Dieser befindet sich in einem Segment des Außenrands des Zeltes. Betriebsleiter Lassy führt in sein Büro. Dort hängt ein Bild, das er von den Mitarbeiterinnen der Kanzlei geschenkt bekommen hat. Sie haben aus zerstückelten Abfall-Sorten ein buntes Abbild des Rinterzelts geklebt.

Holzkonstruktion

Die Form des Rinterzeltes sei "eigentlich das ureinfachste", sagt der Architekt Lukas Lang über den Bautypus Zelt. Beeinflusst vom visionären Architekten Frei Otto, der zum Beispiel das Münchner Olympiagelände mit einer zeltartigen Konstruktion überdacht hat, interessierte sich Lukas Lang in den 1970er Jahren für Hängekonstruktionen, und er schlug die Zeltform für die Abfall-Halle vor. Die Kurve der Konstruktion entwickelte er eher zufällig im Gespräch mit dem Statiker Emil Jakupec.

Ursprünglich sollte das Zeltdach an Stahlseilen hängen. Doch diese Tragstruktur erwies sich - nach ersten Berechnungen - als zu teuer und brandschutztechnisch schwierig. Als Alternative wurde Holz gewählt, dessen Tragfähigkeit im Brandfall besser kalkulierbar ist. Die insgesamt 48 spaltenförmigen Elemente sind aus Holz. Von einem Stahlring an der Spitze des 68 Meter hohen Beton-Pylons in der Zeltmitte sind sie abgehängt und unten auf Betonflossen gestützt.

In wenigen Monaten Bauzeit konnte das Rinterzelt aufgestellt werden. Architekt Lukas Lang erinnert sich an eine Nacht, in der ein Orkan über die Baustelle fegte: "Da bin ich in der Nacht hingefahren, das war phantastisch. Vollmond, Wolken sind gezogen, und es hat durchgescheint in die Halle. Und es sind Metallteile irgendwo heruntergehangen, die haben wie ein Schlagzeug geklungen. Es hat überall gepfiffen und geheult. Ich bin da gestanden und habe nur gestaunt und gehört."

Konkurs der Rinter AG

Das Zelt wurde von der Rinter AG errichtet - Rinter steht für Rohstoff International - die damals neue Aufbereitungsmethoden unter ein Dach zusammenführen wollte. In der Annahme, dass die Maschinen und Anlagen, die ständig weiterentwickelt werden, höher würden, sollte die Baustruktur nach oben hin viel Platz bieten. Mit dieser Prognose lag die Rinter AG falsch - und auch was die lukrative Müllverwertung betraf, ging die Rechnung nicht auf. Nur drei Jahre nach der Eröffnung des Zelts ging die Rinter AG in Konkurs, und die Stadt Wien übernahm die Halle 1986.

Die Nutzung ist der Architektur nicht eingeschrieben. Es ist einfach eine Halle, in der alles Mögliche sein könnte, meint der Architekt Lukas Lang, man könne genauso verschiedene Kinos einbauen. Derzeit aber, so der Betriebsleiter des "48er-Zelts", Andreas Lassy, funktioniere das Gebäude gut als Abfallaufbereitungsanlage. Wenn auch die außergewöhnliche Bauweise mit Leimbindern und Alu-Dachplatten wartungsbedürftig ist.

Andreas Lassy deutet auf mit Sprayfarbe markierte Stellen an der Holzkonstruktion, die durch Wassereintritt beschädigt sind und demnächst ausgetauscht werden müssen. Das sei jedoch ein geringer Aufwand, so Lassy.

Wohnhäuser aus Holzmodulen

Nachhaltigkeit - dieser Begriff ist heute, im Gegensatz zu den 1970er Jahren, in der Architektursprache allgegenwärtig. Wie Gebäude - auch aus jüngerer Bauzeit - erhalten werden können, wie sich Architektur an geänderte Nutzungsbedürfnisse anpassen kann, und wie Gebäude gegebenenfalls möglichst ohne Rückstände entfernt werden können - das sind Fragen, die Lukas Lang heute, über 30 Jahre nach dem Rinterzelt, beschäftigen. Er arbeitet dabei mit Christoph Prutscher zusammen.

Musterhaus

Prototyp aus dem Jahr 2003

(c) Anna Soucek

Er war Gründer der Rinter AG und damit Bauherr des Müll-Zelts. Seit 1995 entwickeln die beiden gemeinsam ein Baukastensystem, das ermöglicht, aus Holzmodulen Wohnhäuser zu bauen. "Es ging uns darum, dass die Baukomponenten länger leben können als das Gebäude", sagt Christoph Prutscher. Denn so einfach wie die Module zusammengeschraubt werden können, so schnell und rückstandslos können sie auch wieder demontiert werden. Das umweltschonende System könne den Hausbau revolutionieren, meint Prutscher, wenn es Verbreitung findet.

Architekten des Hauses

Lukas Lang und Christoph Prutscher

(c) Anna Soucek

Das System von Lukas Lang und Christoph Prutscher ist einfach: Den Ansprüchen der Nutzerinnen entsprechend, werden die Holz-Module zusammengeschraubt. Das Haus ist somit abbaubar und nicht an ein Grundstück gebunden. Es kann - etwa wenn Kinder ausziehen - verkleinert werden. Hat man Geld, kann es vergrößert werden.

Seeresort bei Graz (2012)“.

Seeresort bei Graz (2012)

(c) Anna Soucek

Und es kann - etwa wenn eine Scheidung ansteht - auch einfach geteilt oder weiterverkauft werden. Abfall entsteht dabei kaum, und der Aufwand ist gering. Das einstöckige Musterhaus in Wien Ober St. Veit etwa wurde ohne Professionisten von den Mitarbeitern der Firma Lukas Lang Building Technologies, dem Büropersonal, aufgebaut, erzählt Lukas Lang.

Service

Im Künstlerhaus in Wien läuft noch bis 17. Februar die Ausstellung "Bauen mit Holz. Wege in die Zukunft".

Az W