Fall Victor: Umstrittene Kindeswegnahme
Der Fall eines elfjährigen Heimkinds aus Wien sorgt für weitere Kritik am Wiener Jugendamt. Nach vier Jahren in Wohngemeinschaften darf der elfjährige Victor jetzt nach einem Gerichtsbeschluss wieder bei seiner Mutter leben. Offenbar sind die Erzieher schlecht mit dem Buben zurechtgekommen. Im Heim wurde das Kind mit Antidepressiva und ruhig stellenden Medikamenten behandelt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 8.2.2013
Bernt Koschuh
Aktivisten jubeln: "Victor ist frei"
"Victor ist frei" jubeln Heimkind-Aktivisten und Jugendamts-Kritiker heute. Seit Jahren wird in Internet und in Presseaussendungen diese Kindesabnahme kritisiert. Die Mutter - eine aus China stammende Informatikerin - hat wild entschlossen um ihr Kind gekämpft und ist zuletzt von der Kinderbuchautorin und Heilpädagogin Rachel van Kooij unterstützt worden.
Van Kooij versteht nicht, warum eine Rückkehr nicht früher möglich war, wo der Bub doch tief traurig gewesen sei. "Weil er über die Trennung von der Mutter so unglücklich war, hat er ein Antidepressivum bekommen."
Van Kooij: "Tägliche Sedierung"
Doch damit nicht genug: Weil das Kind immer wieder sehr aggressiv auf Kränkungen reagiert, ist ihm ein dämpfendes Medikament verschrieben worden. Das sollte ihm aber nur verabreicht werden, wenn Victor aggressiv wird. "Die Wohngruppe hingegen hat darauf bestanden, dass er diese Sedierung täglich bekommt", kritisiert Van Kooij.
Nach einem psychologischen Gerichtsgutachten und per Gerichtsbeschluss, der Ö1 vorliegt, wurde die Obsorge wieder der Mutter übertragen. Jetzt, wo das Kind wieder bei ihr ist, sollen die Medikamente nach und nach abgesetzt werden.
"Besuche der Mutter verhindert"
Rachel van Kooij, vom Gericht nun als Erziehungsbegleiterin eingesetzt, versteht auch nicht, warum das Jugendamt gerichtlich beschlossene Besuchstermine der Mutter verhindert hat. Unerklärlich ist ihr auch, warum das Kind in einer Wohngemeinschaft 150 Kilometer entfernt von Wien untergebracht wurde, wo doch die Mutter kein Auto hat.
"Nach der Aussage einer Ärztin, dass Victor durch die Trennung von der Mutter depressiv wurde, frage ich mich, warum der Besuch der Mutter sozusagen als negativ gesehen wird."
Jugendamt verteidigt: Mutter nicht kooperativ
Zur Vorgeschichte: Victors Eltern haben einen erbitterten Rosenkrieg geführt. Die Mutter, aber auch eine unbeteiligte Beobachterin, haben im Jahr 2008 Missbrauchsvorwürfe gegen den Vater erhoben. Weil Victor in der Schule sehr aggressiv war, kam er auf die Psychiatrie, etwas später hat das Jugendamt den damals Sechsjährigen von der Schule abgeholt und in einer Wohngemeinschaft untergebracht.
Es bestehe "Erziehungsunfähigkeit" der Mutter, sie setze dem Kind nicht genügend Grenzen, es bestehe "Gefahr in Verzug". Warum dann auch noch die Einschränkung der Besuchstermine? Jugendamtssprecherin Herta Staffa sagt: "Sie ist sehr oft unangemeldet erschienen, sodass die ganze Wohngemeinschaft massiv irritiert war."
Mutter und Kind weiter in Betreuung
Man habe keine Möglichkeit gehabt, mit der Mutter gemeinsam zu arbeiten. Diese habe jegliche Kooperation abgelehnt. "Wir haben mehrfach versucht, der Mutter andere Personen anzubieten, die hier vermitteln. Sie konnte aber leider nichts annehmen." Und das habe eine Rückführung des Kindes zu ihr erschwert.
Zum Vorwurf der übertriebenen Medikamentenverabreichung will oder kann weder Staffa, noch der für die Wohngemeinschaft in Oberösterreich zuständige Geschäftsführer Peter Heidelmair etwas sagen. Heidelmair argumentiert, er dürfe keine Aussagen über betreute Kinder machen. Mutter und Kind sollen laut Gerichtsbeschluss übrigens weiter betreut werden, jedoch daheim und hauptsächlich von Rachel van Kooij, ihrer selbst ausgewählten Vertrauensperson.