"Zweifels Reflektorium": Kermani über Hölderlin

2005 hat er im Burgtheater mit seiner Rede über Asyl aufgerüttelt, im Herbst 2012 warnte er in dem Essay "Vergesst Deutschland" vor patriotischem Säbelrasseln: Der Iraner Navid Kermani ist einer von Deutschlands streitbarsten Gelehrten. Der 45-jährige Schriftsteller und Orientalist sprach Donnerstagabend im Burgtheater Vestibül über den großen deutschen Dichter Friedrich Hölderlin.

Morgenjournal, 15.2.2013

Es gibt wohl wenige Autoren, die in der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte so sattelfest sind, wie der Deutsch-Iraner Navid Kermani. Kermani ist ein Wanderer zwischen den Welten und das in mehrfacher Hinsicht: Er schöpft aus dem kulturellen Fundus des Orient und Okzident und spielt gekonnt auf der Klaviatur verschiedener Disziplinen.

Romancier, Fachbuchautor und mehr

Kermani beeindruckt als Romancier, Fachbuchautor und Meister der literarischen Reportage. Er berichtet regelmäßig von seinen Reisen in die arabische Welt. Zuletzt aus Syrien, wo er Eindrücke aus dem Alltag im zerbombten Damaskus festgehalten hat. 2012 hat Navid Kermani für sein belletristisches Mammutwerk "Dein Name", den Kleistpreis erhalten. Ein Roman ohne eigentlich nacherzählbare Handlung, der eher einer fragmentarischen Assoziationskette gleicht.

Kermani springt leichtfüßig zwischen den Zeitebenen, berichtet von der Geschichte des Iran, dann wieder von Alltagsnöten eines Schriftstellers im gegenwärtigen Europa. Und dazwischen kleine poetische Zellen, die dem großen Dichter Friedrich Hölderin gewidmet sind. Auch bei der gestrigen Veranstaltung im Burgtheater Vestibül verbeugte sich Navid Kermani vor dem bedeutendem Lyriker.

Verbeugung vor Friedrich Hölderlin

Am Beispiel des lange verkannten Friedrich Hölderlins, der sich die letzten 27 Jahre seines Lebens völlig zurückzog und als geistig umnachtet galt, nähert sich Navid Kermani dem Akt des Schreibens an sich. Das Schreiben ist für Kermani zugleich Setzung und Auslöschung des Ichs. Der künstlerische Schöpfungsprozess eine mystische Selbstauflösung.

In der säkularisierten Gesellschaft des Lifestyle-Kapitalismus, in der Spiritualität zum konsumierbaren Wellnessprogramm verwässert wird, haben religiöse, oder allgemein metaphysische Fragestellungen keinen Platz mehr. Und das, so Navid Kermanis Befund, sei nicht nur ein Problem für die Religionsgemeinschaften, sondern auch für unsere Kultur.