Psychisch Kranke enstigmatisieren
Psychische Erkrankungen von Depression bis Schizophrenie nehmen zu. Eine Studie des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger aus dem Jahr 2011 verdeutlicht diese gesellschaftliche Entwicklung. So ist die Zahl der Krankenstände innerhalb von 2007 bis 2009, also in nur zwei Jahren um 22 Prozent gestiegen. Trotzdem sind seelische Krankheiten nach wie vor stigmatisiert.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 23.2.2013
"Grippe" in der Seele
Fast jeder Mensch ist in seinem Leben einmal psychisch krank, sagt der Chefarzt des Kuratoriums für psychosoziale Dienste in Wien, der Neurologe und Psychiater Georg Psota. So wie jeder mindestens einmal im Leben einen grippalen Infekt hat, bei dem man kurzfristig und heftig, meist aber nur vorrübergehend aus der körperlichen Bahn geworfen wird, sei es bei vielen psychischen Erkrankungen ähnlich. Auch sie könne man unversehrt überstehen. Nur dass wir als Gesellschaft das nicht sehen wollen. Noch immer seien von Depressionen, Suchterkrankungen oder Angststörungen Betroffene ausgegrenzt, stigmatisiert, warum das so ist, das ist nicht völlig geklärt, aber es gibt eine wissenschaftlich anerkannte These, die mit der Anthropologie zusammenhängt, so Psota: "Der Mensch ist von seinen Hirnleistungen enorm abhängig. Wenn da etwas Irritierendes auftritt, bekommt der Mensch große Angst davor, was da sein könnte. Und dadurch kommt es zu einer Abwehr, dass es sie nicht geben darf."
In Gesellschaft einbeziehen
Es gibt sie aber, die seelischen Erkrankungen, und zwar zunehmend. Laut Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird 2030 die unipolare depressive Erkrankung den Herzkreislauf-Erkrankungen den Rang abgelaufen haben, und zu jener Krankheit werden, die die meisten Menschen in Europa krank macht oder tötet. Ein Umdenken sei also dringend notwendig, so Psota. Bei den psychischen Erkrankungen stehe man noch "vor dem Zeitalter der Aufklärung". Die Medien müssten vermitteln, dass die Grenze zwischen psychisch und körperlich Kranken zum Teil virtuell sei. "Wenn ein Mensch krank ist, dann ist er krank."
Einen großen Beitrag zur Akzeptanz könnten zum Beispiel auch Filme bringen, wie etwa jetzt - ganz aktuell - ein für den Oscar nominierter Film: "Silver Linings". Hier werde "Inklusion vom Feinsten" gezeigt, so Psota. Inklusion, also Einbeziehung in die Gesellschaft, statt der Ausgrenzung - das müsse der Weg der Zukunft sein. Fazit des erfahrenden Neurologen und Psychiaters also: Psychisch krank kann jeder einmal im Leben werden, aus welchem Grund auch immer. Die Stigmatisierung muss ein Ende finden, denn sie kann für die Betroffenen genauso schädigend sein wie die Krankheit selbst.