Naturgeschichte von Bernhard Kegel
Tiere in der Stadt
Bernhard Kegel haben es die Kleinen angetan: die Milben, Spinnen und Meisen. Was müssen Tiere mitbringen und wie müssen sie sich verändern, um in unserer Nachbarschaft überleben zu können? Und wie beeinflussen diese Begegnungen unseren Umgang mit der Natur? Diese Fragen stellt Bernhard Kegel in seinem Buch "Tiere in der Stadt".
8. April 2017, 21:58
Fressen und Gefressen-Werden
Es kriecht und krabbelt, piept und raschelt, zwitschert und surrt - Bernhard Kegel beginnt seine Naturgeschichte in seiner Heimatstadt Berlin: Er erzählt vom Fressen und Gefressen-Werden-Spiel des Wasserreihers, der sich mitten in einem Berliner Stadtpark einen Goldfisch aus dem Teich angelt, von Stadtkohlmeisen und urbanen Amseln. Besonders Vögel müssen mit ihren Balzrufen gegen den Stadtlärm ankämpfen.
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Für viele urbane Vogelarten ist mittlerweile belegt, dass sie zu diesem Zweck, neben nächtlichem Gesang und der Anhebung ihrer Lautstärke, einen dritten Weg einschlagen: Sie verschieben das Frequenzspektrum ihres Gesangs nach oben, um die Konkurrenz zum Industrie- und Verkehrslärm zu minimieren.
Vor allem die Kohlmeisen zwitschern von Brüssel bis nach Berlin, Prag und Paris in einer Tonart.
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Die Stadtkohlmeisen sangen nicht nur höher als ihre Artgenossen in den Wäldern der Umgebung, sie zwitscherten auch kürzere Strophen und machten kürzere Pausen. Überall tost der Verkehr und überall reagieren die Vögel darauf in der gleichen Weise. Der spezifische Klang der Städte, er dringt auch aus den kleinen Kehlen der Kohlmeisen.
Von Parasiten und Schädlingen
Bernhard Kegels "Tiere in der Stadt" ist mehr als eine Bestandsaufnahme des urbanen Lebensraums. Der Biologe unternimmt Exkurse in die Bereiche der Archäologie und Paläontologie. Zum Beispiel ins Alte Ägypten, dort wurden alle Tiere als "dem Menschen gleichberechtigte Wesen der Götterschöpfung" verehrt. Auch Schädlinge waren daher gottgewollte Plagen, die man nur mit Abschreckung - wie zum Beispiel mit Hieroglyphen von verstümmelten Tieren - versuchte davon abzuhalten, über Gräber und Grabbeigaben herzufallen.
Kegel erzählt auch von vielen tierischen Zeitgenossen, die nicht unbedingt zu den liebsten Haustieren des Menschen zählen: von Parasiten und von der Hausstaubmilbe im Ökosystem Bett.
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Machen Sie sich keine Illusionen, dass es bei Ihnen im Bett anders aussehen könnte.
Denn das Bett ist der Ort, an dem menschliche Körperwärme und ausgeschiedene Feuchtigkeit zwischen Decke und Matratze ein Klima schaffen, in dem sich die Hausstaubmilbe besonders wohl fühlt, wie Bernhard Kegel bei einer mikroskopischen Reise auf einer Matratzenoberflächen demonstriert:
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Bei hundertfacher Vergrößerung sind sie schon gut zu erkennen, knapp mausgroße kugelig-ovale Wesen, die mit kurzen teleskopartigen Beinen träge über die regelmäßig angeordneten Textilfasern klettern. Bezogen auf die riesige Fläche - das Bett hat die doppelte Größe eines Fußballplatzes angenommen - sind es nicht viele, aber beim genaueren Hinsehen entdeckt man zwischen den zu Kabelstärke angeschwollenen Fasern, in Knopfmulden, Nähten und Reißverschlüssen Massen von sehr viel kleineren weißlichen Tieren.
Alltag einer Stubenfliege
Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen - auch den lästigen Brummern ist viel Raum in Kegels Buch gewidmet: über die Stubenfliegen als Reitpferd der Hausmilben und Träger gefährlicher Mikroben. Haben Fliegen sich einmal einen Erreger eingefangen, bleibt er an ihnen haften, aber: Jagen kann man Fliegen laut Kegel mit Blutwurst, Salami und Hering.
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Ein typischer täglicher Rundflug einer urbanen "Musca domestica", der Stubenfliege, sieht vielleicht so aus: Morgens Hundekot auf der Straße, Eiablage, dann Obstschale auf dem Küchentisch, Putzlappen in der Spüle, Vogelkadaver in der Regenrinne, Eiablage, Taubenkot auf dem Gesims, Mülltonne auf dem Hof, Eiablage, Küchenfenster, Schweineschnitzel in der Küche, Nachtruhe auf der Lampe.
Stadt- und Landfüchse
"Fuchs, du hast die Gans gestohlen", Goethes "Reineke Fuchs" und der Fuchs als schlaues boshaftes heuchlerisches Fabelwesen - nach über 300 Seiten geht es endlich um den auf dem Titelbild angekündigten Fuchs: als Symbol für die Einwanderung wilder Tiere in der Stadt, über die besonders anpassungsfähigen Rotfüchse, die das am weitesten verbreitete fleischfressende Säugetier auf der Welt sind. Und darüber, wie sich das Bild des Fuchses verändert hat, der im Lauf des 20. Jahrhunderts bis in die Innenstädte vorgedrungen ist.
Ein Schweizer Tierforscher meint sogar: Stadtfüchse werden in Zukunft so selbstverständlich zur Fauna des Siedlungsraums gehören wie Spatzen, Amseln und Marder. Aber was zieht die Füchse in die Stadt? Ein Schweizer Forschungsprojekt hat die DNA von Füchsen, die aus der Stadt stammen, und Füchsen aus ländlicher Umgebung im Raum Zürich analysiert und verglichen:
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Obwohl viele Kilometer voneinander entfernt, waren die Füchse aus den drei ländlichen Gebieten näher miteinander verwandt, als die Stadtfüchse mit den jeweils benachbarten Landfüchsen. Offenbar kommt es zwischen den Landfüchsen trotz den wesentlich größeren Entfernungen zu mehr Kontakten als zwischen Stadt- und Landfüchsen, sodass sich ihre Genpools intensiver mischen. Die meisten in der Stadt lebenden Füchse verlassen das Siedlungsgebiet nie.
Ein typischer Stadtfuchs habe noch nie einen Wald oder ein Getreidefeld gesehen. Keine stetige Zuwanderung also, sondern Gründertiere seien für den urbanen Lebensraum der Füchse verantwortlich, so Kegel. Und diese Gründertiere, seien Tiere mit sozusagen "Persönlichkeit", mit besonderem Temperament und wenig Scheu. Genauer hinschauen und hinhören - Aufmerksamkeit für Tiere in der Stadt zu schaffen, das ist Bernhard Kegel mit "Tiere in der Stadt" mehr als gelungen.
Service
Bernhard Kegel, "Tiere in der Stadt. Eine Naturgeschichte", DuMont Buchverlag
Dü;ont Verlag