Russlands kultureller Widerstand

"Into the City" - die junge Programmschiene der Wiener Festwochen widmet sich heuer dem Thema "Music and Politics". Künstler aus Syrien und Palästina, aus Malaysien und Burma, aus Ungarn und aus Russland kommen nach Wien und zeigen das Widerstandspotenzial von aktueller Musik und Kunst. Heute Abend tritt die russische Agit-Prop-Revival-Band Arkadiy Kots im Wien Museum auf und davor gibt es eine Podiumsdiskussion über zeitgenössische Protestkultur in Russland.

Morgenjournal, 16.5.2013

"Winter, go away" - unter diesem Motto steht der Abend über zeitgenössische Protestkultur in Russland. "Winter, go away" - so heißt ein Dokumentarfilm über die so genannten Winter-Proteste 2011/12, als zigtausende Menschen in Moskau und in anderen großen Städten gegen die Wiederkehr Putins ins Präsidentenamt demonstrierten.

"Es war eine große Euphorie und da war viel Kindliches dabei, wie im Fasching: mit Verkleidungen mit viel Freude und Witz. Es war eine wunderbare Aufbruchsstimmung, dieses Gefühl: Alles wird neu", sagt Anna Moiseenko vom "Winter go away"-Filmteam. Subversiv-groteske Töne mischten sich mit den Klassikern des politischen Kampflieds.

Da ist zum Beispiel Arkady Kots. Die Band hat ihren Namen von dem russischen Revolutionsdichter Arkady Yakovlevich Kots, der anno 1902 die russische Fassung der "Internationalen" schuf, die Nationalhymne der jungen Sowjetunion.

Kiril Medvedev, der Gründer und Texter der Gruppe sagt: "Zum ersten Mal nach 20 Jahren ist die Musik wieder politisch geworden, man hat eine Brücke zur Perestroika geschlagen. Wir berufen uns auf die internationale Gewerkschaftsbewegung in Europa und den USA. Unser bekanntestes Lied ist eines, das ursprünglich gegen das Franco Regime gerichtet war: 'Diese Mauern werden fallen'."

In Wirklichkeit ist dann alles ganz anders gekommen. Die Wirklichkeit: Das sind die neuen Gesetze zur Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Razzien bei Regimegegnern und bei NGOs. Etliche seiner Freunde sitzen in Untersuchungshaft, nachdem vor einem Jahr am 6. Mai 2012 die Proteste in Moskau eskaliert sind, berichtet Kiril Medvedev. Die Strafverfahren sind ein deutliches Signal an alle Sympathisanten der Opposition: "Wer protestiert, riskiert seine Freiheit".

Anna Moiseenko sekundiert: "Die Reaktion der Regierung auf die Demonstrationen war völlig unangemessen: heftig und grausam. Die Protestbewegung hat sich mittlerweile gespalten: in die einen, die nicht mehr dabei sein wollen, die nichts mehr riskieren wollen und die anderen, die trotz allem weitermachen. Das ist nur mehr eine kleine Gruppe. Sie sind gewaltbereit, sie haben sich weiter radikalisiert."

An einen friedlichen Machtwechsel glaubt kaum noch jemand, eher befürchtet man ein weißrussisches Szenario, sprich eine totalitäre Erstarrung, meint Kiril Medvedev: "Unser Thema heute ist die Angst. Aber wir wollen sie nicht in uns einschließen. Sie wird zum Thema unserer künstlerischen Reflexion. Wir werden mit unserer Angst hinausgehen und gemeinsam handeln."

"Winter go away" - ein ungehörter Appell. Heute abend wird jedenfalls im Wien Museum über die Protestkultur in Russland diskutiert und danach gibt es ein Konzert von Arkadiy Kots.

Textfassung: Joseph Schimmer