Wong Kar-wai im Interview

Wong Kar-wai, der große Ästhet des Hongkong-Kinos, hat einen Kampfkunst-Film gedreht. In "The Grandmaster" zeichnet er das Leben des Kungfu-Meisters Yip Man nach.

Wong Kar-wai hat mit Filmen wie "Chungking Express", "Happy Together" und "In the Mood for Love" das Hongkong-Kino revolutioniert. In satten Farben und melancholischen Zeitlupen erzählte er die Geschichten unglücklich Verliebter. Von einem Polizisten in den engen Straßenfluchten Kowloons, von einem schwulen Paar in Buenos Aires und von einem Schriftsteller im Hongkong der 1960er Jahre.

In seinem neuen Film "The Grandmaster" porträtiert er den Begründer des Wing-Chun-Kungfu und Lehrer Bruce Lees Yip Man und zeichnet den Niedergang nach, den die Kampfkünste im letzten Jahrhundert genommen haben. Grund dafür waren die politischen Umwälzungen in China, aber auch Streitigkeiten um das Erbe der alten Meister.

"Authentischer Film über Kung Fu"

Wolfgang Popp: Kampfkunstfilme spielen häufig in einem fantastischen Paralleluniversum, "The Grandmaster" kommt mir vor, versucht da ganz andere Wege zu gehen?
Wong Kar-wai: Manche Kampfkunstfilme sind tatsächlich ähnlich wie "Herr der Ringe" ein reines Fantasiespektakel, das nichts mit historischen Ereignissen zu tun hat. "The Grandmaster" ist hingegen ein authentischer Film über Kung Fu, denn hier geht es um historische Persönlichkeiten und um ihr Verhalten, ihr Wissen und ihre Philosophie.

Was hat sich in der Bedeutung des Kungfu geändert – von der Zeit Yip Mans bis heute?
Da bestehen sehr große Unterschiede. Zu Yip Mans Zeit gab es verschiedene Schulen und viele der Techniken wurden geheim gehalten, weil sie gefährliche Waffen darstellten. Die Großmeister machten sich damals auch Gedanken, wie die Kampfkünste zum Wohl Chinas eingesetzt werden könnten. Damals ging es um den Sturz der Monarchie und die Errichtung einer Republik. Die Kampfkunstschulen konnten sich entweder als Stätten der politischen Bildung etablieren oder aber auch Attentäter ausbilden, um die reaktionären Kräfte im Land auszuschalten. Die Großmeister legten aber immer Wert darauf, als gemäßigte Reformer zu wirken. Später dann, nach der Gründung der Volksrepublik China durch die Kommunisten im Jahr 1949, wurden die Kampfkünste nur noch als Sport betrachtet. Es gab jetzt keine verschiedenen Schulen mehr und die unterschiedlichen Stile wurden einfach zu einer Standardform verschmolzen.

Was waren die großen Schwierigkeiten bei der Inszenierung der Kampfszenen?
Wir haben nicht mit Kampfkünstlern wie Jackie Chan oder Jet Li gedreht. Ich musste also zuallererst dafür sorgen, dass meine Schauspieler ein gründliches Kung-fu-Training erhielten. Sie mussten in der Lage sein, die Kampfszenen authentisch darzustellen. Sie sollten dem entsprechen, was damals an den Schulen gelehrt wurde.

Wie viele Kameras waren denn beim Drehen der Kampfszenen im Einsatz?
Ich weiß, dass viele Regisseure Kampfszenen mit mehreren Kameras gleichzeitig filmen, weil das effizienter ist. Wir haben aber immer nur eine Kamera verwendet. In den Kampfkünsten geht es um Präzision und genauso wollte ich auch arbeiten und nicht einfach Material sammeln, das ich dann am Schnittplatz arrangieren konnte. Jede Einstellung musste deshalb ganz präzise geplant sein.

Ist "The Grandmaster" großteils im Studio entstanden oder haben Sie noch Orte gefunden, die ihren historischen Charakter bewahren konnten?
Wir haben in Südchina und in der Mandschurei, im Nordosten des Landes gedreht. Es gibt da eine kleine Stadt nicht weit von Hongkong, die noch sehr gut erhalten ist. Das Problem ist nur, dass es im Umkreis zahlreiche Fabriken gibt und wir wegen des Lärms und der Menschenmassen nur nachts drehen konnten.

Der Film ist in China und mit chinesischen Geldmitteln entstanden – wie hat es da mit der Zensur ausgesehen?
Was die chinesische Zensur betrifft, gibt es, glaube ich, einige Missverständnisse. Ganz einfach gesagt: Wenn man einen Film in China drehen möchte, muss man vor Drehbeginn das Drehbuch einreichen. Man muss das nicht machen, kann seinen Film später dann aber nicht in China ins Kino bringen. Den fertigen Film muss man dann wieder den Behörden vorlegen. Das Problem ist jetzt, dass das chinesische Zensursystem völlig veraltet ist. Es gibt nämlich keine unterschiedlichen Altersfreigaben. Jeder Film muss also für jede Altersgruppe geeignet sein. Das soll jetzt aber geändert werden und wenn das passiert, werden die Filmemacher dadurch ganz neue Freiräume bekommen.