"Geisteskrank": Gutachterstreit um Sorgerecht

Gutachten sind in Sorgerechtsstreitigkeiten besonders wichtig - und heikel. Gutachter entscheiden mitunter über Existenzen. Die Zeitschrift "News" berichtet heute über einen besonders drastischen Fall: ein Gerichtsgutachten bescheinigt einer Frau, depressiv und paranoid zu sein, daraufhin verliert sie das Sorgerecht für ihre beiden Kinder. Obwohl es zwei Gutachten gibt, die genau das Gegenteil feststellen.

Mittagsjournal, 18.7.2013

Gutachten: "Schaden für die Kinder"

Paranoid, depressiv, antriebsschwach, eine Gefährdung für ihre Kinder - das steht im Gutachten über eine 41jährige Frau, die mit dem Vater ihrer Zwillinge um das Sorgerecht streitet. Die Folge: Die Kinder werden ihr weggenommen, das Sorgerecht geht an den Vater. Die Gutachterin war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Das Gericht rechtfertigt die Entscheidung damit, dass ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit der Mutter eingeholt wurde, sagt Christa Zemanek vom Landesgericht Korneuburg. "Dieses Gutachten hat ergeben, dass die Mutter eine total symbiotische Beziehung zu den Kindern hat, die Kinder so stark an sich bindet und alle anderen ausschließt, dass das ein Schaden für die Kinder ist."

"Nicht nachvollziehbar"

Als sie das Gutachten und dann die Frau gesehen habe, sei sie erschrocken, sagt die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Gabriele Wörgötter. Sie kommt in ihrem Gutachten zu einem gegenteiligen Befund. Die Frau sei überdurchschnittlich intelligent, sehr eloquent, nicht ansatzweise paraoid. "Ich kann nicht nachvollziehen, inwieweit die Mutter eine Gefahr für ihre Kinder sein sollte. Ich habe aufgrund meiner Untersuchungen derartige Befürchtungen nicht ansatzweise nachvollziehen können."

Auch ein Gutachten des Psychosozialen Dienstes Burgenland kommt zu diesem Ergebnis. Weil es Privatgutachten sind, werden sie aber vom Gericht nicht berücksichtigt. Es gebe mehrere Gerichtsgutachten, die alle zum selben Ergebnis kommen, sagt Christa Zemanek. Die vom Gericht eingeholfen Gutachten, wo es nicht um den Geisteszustand der Mutter, sondern um ihre Erziehungsfähigkeit geht, stimmten völlig überein, das sei "nach der Aktenlage eine klare Sache".

Diagnose bleibt

Mittlerweile liegt der Fall bei einem anderen Gericht, und dort geht alles nur sehr schleppend voran, kritisiert die Prozessbegleiterin der Frau, Margreth Tews: "Vor einer Verhandlung gibt es kein neues Gutachten, uns solange bleibt die Diagnose bestehen, dass die Mutter eine gefährliche Geisteskranke ist." In so einem Fall müsste das Gericht aktiv werden und ein weiteres Gutachten oder ein Ober-Gutachten einholen , sagt auch Gutachterin Wörgötter. Davon habe das Gericht bisher "leider", so Wörgötter, keinen Gebrauch gemacht.