Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Kalter Schauer

Ein Satz, der immer stimmt lautet: Das waren Zeiten. Also: Das waren Zeiten, als eine deutsche Kriminalromanreihe mit einem Slogan erschien, der von Shakespeare stammte: A faint cold fear thrills through my veins.

Genauer stammt es aus "Romeo und Julia", und man weiß, Julia hatte jeden Grund zu Befürchtungen. Einmal sagt sie : "Gute Nacht" und: "Gott weiß, wann wir uns wieder sehen" - und dann fällt eben der Satz: "I have a faint cold fear thrills through my veins, / That almost freezes up the heat of life."

Das lautet in schönster Übersetzung: "Kalt rieselt matter Schau'r durch meine Adern, / Der fast die Lebenswärm erstarren macht." Was Julia bewegt, ist die Vorahnung des Todes. Der Zuschauer bekommt mit, dass es nicht gut ausgehen wird, ohne dass er wissen kann, wie / auf welche Art es schlecht ausgeht. Übers Mitleiden, übers Mitleben mit den Figuren ist der Zuschauer gespannt: Wie wird es den Liebenden ergehen? Kommen sie davon / gehen sie zu Grunde?

Eine solche dramatische Möglichkeit, die Angst von Figuren dem Publikum einzupflanzen, verführt dazu, dass man diese Wirkung herauspräpariert, herausarbeitet, um damit eine eigene Gattung zu begründen - eine Gattung, in der es einzig und allein oder wenigstens in der Hauptsache um die Erregung eines solchen Schauders geht. Diese Gattung kann man dann "Thriller" nennen.

Für mich steht der "Thriller" im Zusammenhang mit dem Kriminalroman, auch mit dem Kriminalfilm, und den Thrill bekommt der Konsument dadurch, dass in diesen kriminologischen Phantasieprodukten das Verbrechen ins ohnedies schon harte Leben einbricht. Das Verbrechen bricht mit dem Alltag und bei diesem Bruch erschrickt der Mensch bis ins Mark.

Shakespeare war bekanntlich genial / und so enthält das Zitat aus "Romeo und Julia" wichtige Bestandteile von dem, was ein Thrill ist: jedenfalls ein Gefühl, das bei aller Vorahnung, aller Unbestimmtheit körperlich merkbar wird. Im Wienerischen gibt es die Wendung: Er gibt es ihm kalt/warm - das heißt: Er manipuliert ihn durch den Temperaturwechsel im Verhalten. Das kann schrecklich sein.

Im Shakespeare-Zitat wird ebenfalls auf einen Wechsel von Kälte und Wärme angespielt - kalte Angst, cold fear, einerseits, und was tut sie andererseits? Sie bringt die Hitze des Lebens zum Erfrieren: freezes up the heat of life. Unter so frostigen Umständen zittert ein jeder Mensch.