Sterbehilfedebatte in Belgien

Belgien ist eines der Länder in Europa mit besonders liberalen Regeln für Euthanasie. Seit mehr als zehn Jahren ist Ärzten dort die Sterbehilfe erlaubt. Jetzt führt der spektakuläre Fall eines Mannes zu Diskussionen, der in einer Brüsseler Klinik auf eigenen Wunsch zu Tode gebracht wurde, weil er an unheilbaren psychischen Problemen litt.

Mittagsjournal, 2.10.2013

Psychische Probleme

Nathan Verhelst war 44 Jahre alt, als ihm die Ärzte der Brüsseler Ziekenhuis Universitätsklinik die übliche tödliche Dosis verabreichten. Seit 2002 ist Ethanasie legal in Belgien. Mehr als 1.300 mal ist im letzten Jahr Sterbehilfe praktiziert worden . Aber der Fall van Nathan Verhelst ist ungewöhnlich, denn der Mann litt nicht an einer tödlichen Krankheit, sondern an psychischen Problemen.

Nathan ist als Mädchen auf die Welt gekommen und hieß bis vor zwei Jahren Nancy. Nancy wollte nie ein Mädchen sein. "Die Natur hat sich geirrt und mich in einen Frauenkörper gesteckt, den ich nie wollte", sagt sie einer Zeitung. Durch eine Hormonbehandlung versucht Nancy zum Mann zu werden, die Kur misslingt. Ein Jahr später scheitert ein operativer Eingriff. Nancy heißt jetzt Nathan, fühlt sich aber von Neuem in einen Körper gesperrt, in dem er nicht leben will. Er wendet sich an eine medizinische Hilfsorganisationen und erklärt, dass er sterben will.

Kontrollierte Liberalität

Sterbehilfe ist dann möglich in Belgien, wenn Patienten ihren Todeswunsch ein unmissverständlicher Weise, freiwillig und wiederholt vorbringen, ohne Druck von außen. Die Patienten müssen sich in einer aussichtslosen medizinischen Situation befinden und Opfer eines unerträglichen physischen oder psychischen Leidens sein. Bei einer psychischen Krankheit werde besonders streng kontrolliert, sagt Dr.Jean Michael Thomas, Mitglied der belgischen Kontrollkommission für Euthanasie: "Zu sagen, dass es keine Kontrollen gibt, ist falsch. Bei komplizierten Fällen stellt die Überwachungskommission zusätzliche Fragen. Bei einem psychischen Krankheitsbild waltet noch größere Vorsicht als sonst."

Dr. Wim Diestelmans, der zuständige Brüsseler Arzt, kommt zum Schluss gekommen, dass sich Nathan Verhelst nach den zwei gescheiterten Geschlechtsumwandlungen in unheilbar krank ist und das Recht hat zu sterben. Laut Gesetz muss es nicht unbedingt eine tödliche Krankheit sein, die zur Sterbehilfe führt, argumentiert Jacqueline Herremans von der Organisation für das Recht auf ein würdiges Sterben: "Es gibt auch das Unsichtbare, das Patienten von innen trifft, auch wenn man das von außen nicht sieht. Das kann Magersucht oder Schizophrenie sein."

Die belgischen Behörden betonen, dass nur bei vier Prozent der Fälle von Sterbehilfe eine psychische Krankheit der Hintergrund sind. 2012 waren das immerhin 52 von 1322 Fällen von Sterbehilfe. Mit bis zu 80 Prozent stehen die Belgier laut Meinungsumfragen hinter der legalen Sterbehilfe in ihrem Land.