Bosnien - geteiltes Land

Die Volkszählung in Bosnien-Herzegowina hat die Nationalitätenfrage wieder hochkochen lassen. Die Verfassung garantiert zwar allen drei Volksgruppen des Landes, den Serben, Kroaten und muslimischen Bosniaken diesselben Rechte. Im Alltag hat das aber zu einer völligen Trennung der Volksgruppen geführt, mit zum Teil absurden, meist aber menschlich tragischen Auswirkungen.

Mittagsjournal, 11.10.2013

Geteilte Städte

Gornji Vakuf / Uskoplje - eine Stadt mit etwa 20.000 Einwohnern. Hier kam es während des Bosnien-Kriegs in den 90er-Jahren zu den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Kroaten und der bosniakischen Armee. Die Folge: Nach dem Krieg wurden die Stadt geteilt, in einen bosniakischen und einen kroatischen Teil. Eine Stadt - zwei parallele Welten, mit nur einem gemeinsamen Treffpunkt: dem Jugendzentrum.

Zwei Schulen unter einem Dach

Volksschulkinder tummeln sich auf den Gängen, spielen gemeinsam - kroatische und bosniakische Kinder. Betreut werden sie von Volontären, ebenfalls gemischt. "Ich arbeite hier mit den Kindern, wir lernen zusammen, machen die Hausgaben", erzählt Marija, sie ist 18 Jahre alt und stammt aus dem kroatischen Teil der Stadt. Marija genießt es, hier mit Kindern und Jugendlichen der anderen Seite ungehindert zusammenkommen zu können, ebenso Svonimir, ebenfalls Kroate. "Wir haben sonst keinen Platz zusammen. Es gibt sogar zwei Fußballplätze. Nur dieses Zentrum hier verbindet uns." - "Es ist einfach eine Katastrophe, dass wir in zwei verschiedene Schulen unter einem Dach haben", sagt Kenan, 16 Jahre alt und Bosniake. "Es ist schrecklich, wir werden von klein auf auseinander dividiert. Die Bosniaken werden nach bosniakischem Lehrplan unterrichtet, die Kroaten-Kinder nach dem kroatischen, aber nicht nur das, wir sind im Schulgebäude total voneinander getrennt. Wir dürfen nicht einmal gemeinsam eine Treppe verwenden. Die kroatischen Kinder gehen auf der Vordertreppe in die Klassen, wir über die Feuertreppe." Bei Fehltritten gibt es schlechte Betragensnoten.

Kleine Fortschritte

Die Teilung hindert ihn ganz persönlich in seinem Leben: Er würde gerne Koch werden, doch es gibt nur eine kroatische Kochschule, da könne er nicht hin. Dabei ist sein bester Freund Kroate, Svonimir - Kenan hat ihn hier im Zentrum kennengelernt: "Wir können uns aber nur hier treffen. Gemeinsam in ein Café zu gehen, können wir nicht - können schon, aber es wäre gefährlich und nicht erwünscht." Ihnen hier im Jugendzentrum geht diese ethnische Aufteilung gelinde gesagt auf die Nerven, sie kämpfen mit ihrer Freiwilligenarbeit dagegen an. Kleine Fortschritte gibt es: Es ist nicht mehr völlig ungewöhnlich, vor der Schule mit jemanden von der anderen Seite zu sprechen. Doch die Jugendlichen hier wissen auch, dass sie mit ihrer Einstellung bei weitem noch die Minderheit sind.

"Gemischte" Ehe

Etwa 50km von hier entfernt, am äußersten Stadtrand von Travnik, einer mehrheitlich bosniakischen Stadt, leben Slavica und Muhamed. Ein winziges Haus zum Teil noch im Rohbau nennen sie ihr eigen: finanziert aus Hilfsgeldern für Kriegsflüchtlinge. Slavica ist Serbin, Muhamed ist Bosniake. Beide wurden von den serbischen Tschetschniks aus dem Norden Bosniens vertrieben: "Wir haben uns im Krieg, auf der Flucht kennengelernt", erzählt Slavica. Eine Serbin und ein Bosniake als Ehepaar - nach dem Krieg und all den Massakern - werden sie misstrauisch angeschaut hier im Ort?
"Nein", sagen Slavica und Muhamed und nehmen eine Schluck Kaffee: "Für mich stellt sich diese ethnische Frage gar nicht, ich war nie an diesen Nationalismen interessiert", sagt Muhamed. Ihre nun 20jährige Ehe sehen sie als positives Beispiel, dass es trotzdem geht / wie es auch gehen kann.

Kein Geld, keine Perspektiven

Doch so angenommen sich Slavica in der neuen bosniakischen Umgebung hier in der Nachbarschaft fühlt, so kann sie ihre tiefe Enttäuschung nicht verbergen, dass sie ausgerechnet von ihren eigenen Leuten, den Serben, vertrieben wurde: "Ich habe nichts mehr zu tun mit meiner eigenen Familie. Sie haben mich vertrieben, sie kommen nicht zu mir." Was für sie jetzt zählt, ist irgendwie wirtschaftlich zu überleben: Sie haben keine Arbeit, kein Geld und keine Perspektive für ihre drei Kinder, die noch zur Schule gehen. Gehen im wahrsten Sinn des Wortes: "Jeden Tag vier Kilometer Fußweg. Wir haben kein Geld für den Bus. Kein Geld für Schulbücher, die Kinder haben nur ein Heft und einen Stift." Kinderbeihilfe gibt es nur für kranke Kinder, Sozialhilfe gibt es auch keine.

Geschätzte 60 Prozent der Menschen sind arbeitslos hier, der Staat hat kein Geld. Muhamed, mit seinen 56 Jahren und als Flüchtling im eigenen Land, hat noch weniger Chancen. Mit Gelegenheitsjobs versucht er irgendwie seine Familie über Wasser zu halten, mit Holzhacken zum Beispiel. Er hat auch Minen gesammelt und entschärft - für einen Sack Minen hat er einen Sack Mehl bekommen. "Unser Staat ist zerbrochen," sagt Slavica - "nichts geht mehr. Du siehst doch, wie wir uns abquälen."