Bosnien: Volkszählung in geteiltem Land

Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren findet in Bosnien eine Volkszählung statt. Damit werden zum ersten Mal Daten erhoben, wieviele Menschen nach dem Krieg in den 90er-Jahren überhaupt noch in dem Land leben. Doch nationalistische Politiker im Land nutzen dieses Ereignis, um wieder Ängste zwischen den Volksgruppen der Serben, Kroaten und muslimische Bosniaken zu schüren.

Mittagsjournal, 9.10.2013

Hauptsache Ethnie

Seit Wochen werden die Menschen in Bosnien auf das Großereignis vorbereitet. Immerhin ist es die erste Volkszählung seit dem Krieg. 19.000 Volkszähler sind seit Anfang Oktober unterwegs, gehen von Haus zu Haus, bepackt mit einem umfangreichen Fragebogen. Insgesamt 67 Fragen sollen beantwortet werden.

"Die Volkszählung ist extrem wichtig", sagt der Soziologe Dino Abazovic von der Universität Sarajewo. "Es ist Zeit, dass wir endlich Daten kriegen über den sozialen Status, den Bildungsstand, die wirtschaftlichen Verhältnisse, der Menschen hier. Nur so kann der Staat Strategien für die Zukunft entwickeln." Doch darum scheint es schon längst nicht mehr zu gehen. Eine andere Frage wurde zur zentralen Frage hochstilisiert, die der "Ethnischen Zugehörigkeit".

System "einzementiert"

"Das ist typisch für Bosnien", sagt Dino Abazovic, "das gesamte politische System ist darauf aufgebaut". Das Land ist geteilt, in einen serbischen Teil, die Republika Srpska, und einen bosnisch-kroatischen Teil, die Föderation, wo vor allem muslimische Bosniaken und Kroaten wohnen. Damit es zu keiner Benachteiligung der einen oder anderen Gruppe kommt, sind alle Bereiche des politischen wie auch gesellschaftlichen Lebens nach einem komplizierten ethnischen Proporzschlüssel aufgeteilt. "Dieses politische System wurde im Rahmen vom Friedensvertrag von Dayton 1995 so kreiert. Das war wichtig, um den Krieg zwischen den drei Volksgruppen zu beenden. Doch das System wurde nicht weiterentwickelt, sondern einzementiert."

Rechtlose "Andere"

Die "Anderen", die zu keiner der drei Gruppen gehören oder gehören wollen, haben keinen Platz in dem System, sind von fundamentalen Bürgerrechten ausgeschlossen. Ein sogenannter "Anderer" kann derzeit nicht in eine politische Funktion in Bosnien gewählt werden. "Andere" - das sind Angehörige der Minderheiten wie Juden oder Roma oder jene, die aus gemischten Familien stammen und sich nicht für die eine oder andere Seite entscheiden wollen, sagt Tijana Cvjeticanin, die mit ihrer NGO gegen die Diskriminierung der Anderen ankämpft: "Unsere Idee war, wenn eine hohe Zahl an sogenannten 'Anderen' bei der Volkszählung rauskommt, dann können wir damit den Druck auf die Politiker erhöhen, endlich die Verfassung zu ändern, damit auch die 'Anderen', die keiner der 3 staatstragenden Volksgruppen angehören, volle konstitutionelle Rechte haben."

Via Internet und Facebook versuchen sie zu informieren, eine Plattform zu bilden, für alle jene Bosnier, die raus wollen aus dieser ethnischen Fixierung. Ob Auswirkungen auf die Resultate bei der Volkszählung geben wird, weiß man in drei Monaten.

Aber schon jetzt sei klar, dass eines zugenommen hat, sagt Tijana Cvjeticanin: die Spannungen zwischen den Volksgruppen. Mit aggressiver Rhetorik haben die Politiker wieder Ängste geschürt. Ängste, Macht und Einfluß an die jeweils andere Volksgruppe zu verlieren.