US-Politologin: "Obamas Fokus nicht auf Europa"

Während sich die jüngsten Enthüllungen zu den US-Geheimdienstaktivitäten in Europa zu einem handfesten Skandal entwickelt haben, der seit Tagen die Nachrichten bestimmt, gibt es aus den USA weiterhin nur zögerliche Reaktionen auf die Vorwürfe - und diese auch nur über die Pressesprecher der Regierung. Vor allem US-Präsident Barack Obama hält sich im Hintergrund. Es wird sich noch herausstellen, ob das diplomatisch richtig oder ein fataler Fehler war.

Mittagsjournal, 28.10.2013

Aus Washington berichtet ORF-Korrespondentin

Obamas Verhalten Fehler

Egal, ob US-Präsident Barack Obama von den Wanzen in Angela Merkels Mobiltelefon wusste oder nicht - die Art und Weise, wie er auf die europäische NSA-Affäre reagiert, oder besser nicht reagiert, sei in jedem Fall ein großer Fehler, sagt Hope Harrison, Expertin für amerikanisch-europäische Beziehungen am Woodrow Wilson Center in Washington.

"Mir ist nicht klar, ob Obama selbst entschieden hat, dieses Problem in den vergangenen Monaten nicht wirklich ernst zu nehmen, oder ob seine Berater ihm nicht klar genug gesagt haben, Herr Präsident, wir sind auf den Titelseiten der europäischen Zeitungen, das ist riesig, die Leute sind wütend", sagt Harrison. Sie ist der Meinung, die USA müssten das Vertrauen der Europäer dringend wieder zurückgewinnen, und der Präsident müsse dabei eine viel stärkere Rolle einnehmen. Zu lange schon würden sich USA zu dem Thema ausschweigen, kritisiert die Politologin.

Europa nicht mehr oben auf der Liste

Seit Monaten schon warten zahlreiche europäische Regierungen auf die ausführlichen Erklärungen zur Arbeit des US-Geheimdienstes NSA, die ihnen Obama versprochen hat. Eigens dafür eingesetzte bilaterale Arbeitsgruppen sind nach wie vor zu keinem Ergebnis gekommen.

Die USA zeigen Europa die kalte Schulter. Für Hope Harrison von der George Washington Universität ist das ein Symptom der Regierung unter Barack Obama: "Dieser Präsident hat das wohl distanzierteste Verhältnis zu Europa seit Jahrzehnten. Das liegt sicher auch an Obamas persönlichem Hintergrund. Er hat einige Jahre in Indonesien verbracht, sein Vater stammt aus Kenia. Er hat eine andere Weltanschauung, die de facto nicht auf Europa fokussiert ist. Es ist also eine Kombination aus Obamas Persönlichkeit und der Tatsache, dass die Weltordnung heute anders aussieht. Für die USA, für diesen Präsidenten, steht Europa nicht mehr oben auf der Liste."

Europa muss Zeichen des Protests setzen

Dabei sei Europa ein wichtiger Partner für die USA, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, sagt Harrison. Wichtig dafür sei aber, dass man sich auf Augenhöhe begegnen kann. Allein deshalb müsse Europa jetzt ein sichtbares Zeichen des Protests setzen, fordert die US/EU-Expertin. Die jüngsten Entwicklungen sollten nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Bilaterale Anti-Spionage Abkommen seien ein guter Anfang, meint Harrison. Vielleicht sei es gut für die USA, dass die Europäer jetzt geschlossener und stärker auftreten: "Eine starkes Europa, das den USA Grenzen aufzeigt und neue Richtungen für eine gemeinsame Zusammenarbeit vorgibt, kann zu einem gesünderen, ausbalancierten Verhältnis führen."

USA profitieren von sicherem Europa

Davon könnten schlussendlich nicht nur die EU, sondern auch die USA profitieren, sagt die Politologin. Schon jetzt würden die Europäer daran arbeiten, wie sie ihre Technologien verbessern können. Das mache sie sicherer gegen die Überwachung durch die USA, aber auch durch andere Staaten. Von einem sicheren Europa, meint Harrison, würden wiederum die USA profitieren.

Vielleicht, sagt sie, kommt bei der Geschichte ja doch noch etwas Gutes heraus.