"Fliegende Fetzen" im OGH

Am ehrwürdigen Obersten Gerichtshof schwelt seit einigen Monaten ein ungewöhnlicher Konflikt zwischen OGH-Präsident Eckart Ratz und Angehörigen der Höchstrichterschaft zur Frage wieweit sich der Präsident in Entscheidungen der Senate einmischen darf.

Mittagsjournal, 10.12.2013

Unterschriftenliste an den Präsidenten

Im OGH gärt es, die Unzufriedenheit wächst, wird derzeit justizintern gemunkelt. Entzündet hat sich der Streit im Höchstgericht an der Sachverständigen-Frage. Seit nicht mehr die Gerichte, sondern die Staatsanwaltschaften die Sachverständigen für ihr Ermittlungsverfahren bestellen, sehen viele Anwälte und Juristen ein Ungleichgewicht im Strafprozess zu Ungunsten der Angeklagten. Die Kritik: Die Sachverständigen könnten wegen ihrer ihre oft jahrelangen Zusammenarbeit mit den ermittelnden Staatsanwälten im Prozess keine objektive Stellung einnehmen.

Der Präsident des Obersten Gerichtshofes Eckart Ratz gilt als strikter Verfechter einer Reparatur der Gutachterproblematik, die er in Vorträgen schon als tickende Zeitbombe bezeichnet hat. Dass er die Streitfrage schnellstmöglich höchstgerichtlich geklärt haben will, daraus hat Ratz nie ein Geheimnis gemacht. Auch nicht gegenüber den Senaten in seinem Haus, die derzeit mit entsprechenden Fällen beschäftigt sind. Was letztlich größeren Unmut unter den betroffenen Höchstrichtern ausgelöst hat. Konsequenz: Eine Unterschriftenliste mehrerer OGH-Richter an den Präsidenten, in der man sich gegen jeden Versuch der Justizverwaltung, sprich des Präsidenten, verwehrte, Einfluss auf Entscheidungen der Senate zu nehmen. Schließlich ist die unabhängige Entscheidung aller Richter in der Verfassung verankert und darf nicht eingeschränkt werden - auch nicht durch den Präsidenten des Höchstgerichts.

Anzeige und Selbstanzeige

Ein Schritt, der zu einer höchst überraschenden Reaktion des OGH-Präsidenten geführt hat: Ratz erstattete Selbstanzeige beim Disziplinargericht des OGH, berichtet die "Presse", und zeigte gleichzeitig auch den Senat an, der zuletzt im Verfahren gegen Ex-Hypo-Chef Wolfgang Kulterer Gelegenheit hatte, die Sachverständigenfrage zu klären, das allerdings mit einer formalen Begründung vermieden hatte. Bei der Generalprokuratur, die in derartigen Fällen den Disziplinaranwalt stellt, bestätigt man die Anzeigen des Präsidenten.

Der Schritt des Präsidenten sorgt justizintern für große Verwunderung und ist äußerst umstritten. Während Unterstützer des Präsidenten betonen, dass Ratz mit diesem Vorstoß lediglich klarstellen will, was er als OGH-Präsident darf, sprechen andere von einer Trotzreaktion und mangelnder Integrationsfähigkeit. "Er will sich einmischen und Oberrichter sein", ist zu hören. Ratz, der allgemein als hervorragender Jurist mit sehr dominanter Persönlichkeit gilt, betont selbst in Vorträgen immer wieder, dass für ihn Klarheit vor Harmonie geht. "Hat er recht oder ist er ein Rechthaber?", fragte zuletzt der Falter nach der umstrittenen Entscheidung des Ratz-Senates im Fall Strasser. Ob und wie die Anzeige des OGH-Präsidenten am Disziplinargericht entschieden wird, bleibt abzuwarten.

Eine Stellungnahme der Generalprokuratur zu der ungewöhnlichen Causa wurde mittlerweile an das Justizministerium als oberster Dienstbehörde übermittelt. Danach wird sich der zuständige Disziplinarsenat aus OGH-Richtern mit dem Spezialfall ihres eigenen Präsidenten beschäftigen oder ihn abweisen.