Italiens Dilemma um neues Wahlrecht
Es ist ein Dilemma der italienischen Politik: Alle Parteien wissen, dass das derzeitige Wahlrecht unbrauchbar ist und nur dafür sorgt, dass die Parteien einander ständig blockieren. Ein neues zu schaffen, das scheitert aber - an der gegenseitigen Blockade der Parteien. Fest steht nur: Es muss ein neues System her. Denn das bisherige ist gegen die Verfassung.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 14.1.2014
Gezerre um neues Wahlrecht
Die Italiener nennen ihr Wahlrecht „Porcellum“, was so viel wie Schweinerei bedeutet. Jetzt hat das Verfassungsgericht ein Machtwort gesprochen und verlangt endlich seine Reform. Die Richter beanstanden genau den Mechanismus, der eingeführt wurde, um dem Land eine regierungsfähige Mehrheit zu sichern: eine Prämie für die Partei oder Koalition, die bei den Wahlen am besten abschneidet, eine automatische Aufbesserung auf 55 Prozent der Sitze. Das verzerrt das Ergebnis, erklärt der frühere Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Valerio Onida: Der Mehrheitsbonus macht es möglich, dass eine Partei oder Koalition, die (angenommen) nur 25 Prozent gewinnt, die absolute Mehrheit bekommt - es verzerrt das Verhältnisprinzip, auf dem das Wahlrecht beruht - und zwar stark, nicht nur marginal.
Gegen die Prinzipien der Demokratie sind auch die geschlossenen Listen, sagen die Richter. In Italien entscheiden die Parteichefs, wer an welcher Stelle auf ihren Listen steht. Vorzugsstimmen erlaubt das Wahlgesetz nicht. Auf diese Weise hat Silvio Berlusconi Freunden und Freundinnen den Weg ins Parlament geebnet.
Das bestehende Parlament und seine Mehrheit sind also illegal, auflösen! ruft die radikale Oppositionsbewegung Beppe Grillos: Valerio Onida: Das Gericht hat klargestellt, dass der Spruch weder auf das bestehende Parlament noch auf seine Beschlüsse eine Auswirkung hat.
Der reformfreudige neue Chef der Sozialdemokraten, Matteo Renzi, will nicht mehr lange diskutieren. Schon für Ende des Monats hat er die Verabschiedung eines neuen Wahlrechts auf die Tagesordnung gesetzt. Aber die Parteien haben unterschiedliche Vorstellungen. Jede möchte das, welches sie bevorzugt.
Italien hat eine ausgeprägte politische Vielfalt: über dreißig Parteien sind im Parlament vertreten. Schon im eigenen Interesse verteidigen sie das proportionale Wahlsystem. Die Mehrheitsprämie hat ein Element der Stabilität eingebracht: immerhin hatte das demokratische Italien in seiner 68-jährigen Geschichte 69 Regierungen - eine pro Jahr.
Auf der Suche nach einem neuen Wahlsystem schaut man auf andere Staaten in Europa. Spanien etwa, auch Frankreich oder Deutschland. Aber keines scheint dem Anspruch der Parteien hierzulande zu genügen.
So schwinden auch die Aussichten, dass das Parlament sich sehr bald auf ein neues System einigen wird. Von Neuwahlen ist zwar täglich die Rede - die wird man vorerst wohl vertagen müssen.