"Grillini" überspannen den Bogen

In Italien steht die radikale Protestpartei des Komikers Beppe Grillo unter Beschuss. Die "Grillini" betreiben eine kompromisslose Oppositionspolitik, verweigern jede Zusammenarbeit und blockieren die Arbeit des Parlaments. Jetzt aber haben sie alle parlamentarischen Regeln und auch die Grenzen des Anstands überschritten. Die anderen Parteien werfen ihnen Sexismus und sogar faschistische Methoden vor.

Beppe Grillo

Beppe Grillo

(c) Lami, EPA

Mittagsjournal, 5.2.2014

Sturm im Hohen Haus

Dass im Parlament in Rom die Emotionen hoch gehen, kommt öfter vor. Doch einen solchen Sturm hat das Hohe Haus selten erlebt. Als die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, einen Filibuster der Grillo-Opposition abwürgt und gegen ihren Einspruch die Abstimmung über ein Regierungsdekret durchsetzt, stürmen die Grillini, mit Plakaten und Fahnen bewaffnet, unter lautem Protest durch den Saal, springen über die Regierungsbänke und können nur durch den Einsatz der Saalordner daran gehindert werden, die Kammerpräsidentin von ihrem Sitz zu vertreiben. Es kommt zu einem regelrechten Handgemenge, eine der protestierenden Grillo-Abgeordneten verspürt sogar eine Ohrfeige.

"Gefährlicher als die Faschisten"

Seit der Episode eskaliert hierzulande der Streit um Rechte und Grenzen demokratischer Oppositionspolitik. Premier Letta spricht von einem Rückfall in die Barbarei und der Parteichef der Sozialdemokraten, Matteo Renzi, fühlt sich an den "Squadrismo" erinnert, die Aktionen der Schlägertruppen, mit denen Mussolini die parlamentarische Demokratie sturmreif gemacht hat.

Der prominente Publizist und Historiker, Corrado Augias, erhebt im Fernsehen warnend die Stimme: "Mein Eindruck ist, dass diese jungen unerfahrenen Abgeordneten kaum wissen, was in Italien zwischen 1919 und 1945 geschehen ist, und in ihrem Unwissen mimen und wiederholen sie das, was uns in den Ruin geführt hat. Sie sind sogar gefährlicher als die deklarierten Faschisten, die wissen, was sie tun."

Wahlrechtsreform als Auslöser

Ein Hintergrund ist: Nach Jahren des politischen Zanks wird im Parlament zur Zeit ein neues Wahlrecht vorangetrieben. Kommt es in seiner jetzigen Form durch, riskiert Beppe Grillos Bewegung an Bedeutung zu verlieren - daher schießt Grillo nun aus allen Rohren, über die Grenzen des Anstands hinaus. Er spricht von einem Putsch und fragt in seinem Internetblog provokant: "Was würdet ihr machen, wenn die Parlamentspräsidentin in eurem Auto säße?" Die Kommentare vieler seiner Anhänger sind voll von sexistischen Geschmacklosigkeiten und Vergewaltigungsphantasien.

Die Öffentlichkeit reagiert bestürzt. Zumal einer von Grillos Abgeordneten wenige Tage zuvor den sozialdemokratischen Politikerinnen vorgeworfen hatte, nur wegen ihrer sexuellen Leistungen im Parlament zu sitzen.

Ein Jahr nachdem die Fünf-Sterne-Partei auf der Welle der allgemeinen Politikverdrossenheit einen beachtlichen Wahlsieg eingefahren hatte, und etwas Frisches, Neues im politischen Stillstand Italiens darstellte, muss sie nun darum kämpfen, nicht als Gefährdung wahrgenommen zu werden - des guten Geschmacks und der Demokratie.