Sotschi: Prestigeprojekt zu Lasten der Umwelt
Übermorgen werden im russischen Sotschi die ersten Olympischen Winterspiele eröffnet, die Russland je ausgetragen hat. Die Spiele sind das persönliche Prestigeprojekt von Präsident Wladimir Putin. Und dafür zahlen die Bevölkerung und die Umwelt einen hohen Preis, wie ein Lokalaugenschein in der Umgebung der Olympia-Stadt klarmacht.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 5.2.2014
Ökologe unter Hausarrest
Putin will Russland und der Welt zeigen, dass Russland unter seiner Führung zu einer modernen Großmacht aufgestiegen ist. Dafür ist Putin kein Preis zu hoch: Tausende Familien wurden zwangsenteignet, oft ohne Entschädigung, Arbeiter auf den Olympischen Baustellen ausgebeutet und kritische Stimmen schlichtweg mundtot gemacht. Unter den Kritikern ist auch der Ökologe Jewgenij Witischko, der immer wieder auf die Umweltsünden hinwies, die bei den Olympischen Bauarbeiten in und um Sotschi begangen wurden. Der ORF hat mit Jewgenij Witischko ein kleines Dorf am Rand von Sotschi besucht, das durch die Olympischen Bauarbeiten von der Wasserversorgung und der Außenwelt abgeschnitten wurde und das unter einem lärmenden illegal in Betrieb genommenen Steinbruch leidet. Witischko wurde inzwischen unter fadenscheinigen Gründen zu drei Jahren Haft verurteilt und unter Hausarrest gestellt.
Schnellstraße ohne Anschluss
Das Dorf Achschtyr liegt nur wenige Kilometer Luftlinie von den futuristisch anmutenden Eishallen entfernt, die am Meeresufer von Sotschi hochgezogen wurden. Doch hier im Dorf ist man auf die Olympischen Spiele nicht gut zu sprechen. Sie hätten nur Probleme gebracht, meint Antonio Pogos, ein älterer Dorfbewohner: "120 Erwachsene leben hier und 40 Kinder im Schulalter oder jünger. Wir alle sind jetzt von der Außenwelt abgeschnitten, die Kinder können nicht mehr zur Schule fahren. Wir befinden uns zwar auf dem Stadtgebiet von Sotschi, aber wenn wir ins Zentrum wollen, müssen wir fast 100 Kilometer Umweg fahren." Grund ist, dass die nagelneue Schnellstraße vom Meeresufer hinauf ins Olympische Skigebiet ohne den versprochenen Anschluss für das Dorf gebaut wurde.
Brunnen versiegt
Doch dies ist nicht die einzige Sorge in Achschtyr. In der Nähe wurde ein Steinbruch in Betrieb genommen, um Gesteinsmaterial für die olympischen Baustellen zu gewinnen. Seither dröhnen rund um die Uhr Lkws durch das Dorf. "So leben wir seit Jahren", meint Alexander Poropow, "es ist alles dreckig, wir sind krank vor lauter Staub und können nicht einmal die Fenster öffnen."
Zudem sei das Wasser in den Trinkbrunnen versiegt, so Poropow: "Die Arbeiten im Steinbruch haben zu Erdbewegungen geführt. Deshalb ist das Wasser in unseren Brunnen verschwunden. Jetzt bekommen wir das Wasser einmal pro Woche von außen geliefert. Stellen Sie sich vor, seit vier Jahren einmal pro Woche eine Wasserlieferung."
Müll könnte Trinkwasser vergiften
Doch die Arbeiten im Steinbruch könnten noch weit schlimmere Folgen haben, warnt Ökologe Jewgenij Witischko. Denn der Steinbruch sei nicht nur gesetzeswidrig in Betrieb genommen worden, sondern es werde dort auch illegal Müll entsorgt: "Es ist einfach nur absurd. Zunächst wurde der Steinbruch in Betrieb genommen, obwohl er mitten in einem Naturschutzgebiet liegt, das ist gesetzlich verboten. Dazu kommt, dass dort illegal Bauschutt und sogar Hausmüll aus der Region entsorgt werden. Die schädlichen Abfallstoffe können im Laufe der Zeit ins Grundwasser gelangen und das Trinkwasser in Sotschi vergiften."
Wir werden zum Steinbruch nicht vorgelassen, er wird von Sicherheitsbeamten abgesperrt. Archivaufnahmen mehrerer Fernsehsender zeigen jedoch, wie Schutt und Müll in den Steinbruch gekippt werden.
Nur eine von vielen Umweltsünden, die beim Bau der olympischen Infrastruktur in Sotschi begangen worden seien, kritisiert Witischko. So seien viele Bauobjekte mitten in Naturparks errichtet worden: "Gleich nach der Vergabe der Spiele an Russland hat man die Naturschutzgesetze geändert. Seither darf mitten in Naturparks gebaut werden und zugleich werden alle öffentlichen Anhörungen ausgeschaltet."
Verurteilt und Hausarrest
Kritische Stimmen, die von der politischen Führung in Russland nicht gerne gehört werden. Jewgenij Witischko wurde kurz nach unserem Interview zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, wegen "Hooliganismus". Er soll bei einer Protestaktion den Zaun um das Haus des Gebietsgouverneurs beschädigt haben. Das Urteil ist derzeit noch außer Kraft. Vor wenigen Tagen wurde Witischko zusätzlich zu 15 Tagen Hausarrest verurteilt, bis zum Ende der Olympischen Spiele also. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert die Urteile als politisch motiviert.