Ukraine: Banges Warten auf dem Maidan
Seit sich die Krise auf die Krim verlagert hat, ist es medial ruhig geworden um den Maidan, von dem aus die Protestbewegung in der Ukraine begonnen hat. Doch die Barrikaden und Zelte stehen noch immer dort, hunderte Menschen harren weiter in der Innenstadt von Kiew aus. Die Stimmung unter den Demonstranten schwankt zwischen Aufbegehren und bangem Abwarten.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 4.3.2014
Aus Kiew berichtet
Abwarten, was auf der Krim passiert
Keine lauten Losungen, keine politischen Reden hier auf dem Maidan - stattdessen Gebete und Gesänge: auf der Tribüne vor dem Mikrophon keine politischen Führer, sondern Priester. Sie beten für die getöteten Demonstranten, und noch drängender, sie beten für den Frieden in der Ukraine. Der Platz ist in Rauchschwaden gehüllt, nicht wegen brennender Autoreifen, wie noch vor zwei Wochen. Es sind die zahllosen kleinen Holzöfen hier, die die Zelte jener beheizen, die seit Woche hier ausharren. Die meisten hier sind Männer, in Tarnanzügen, wie Partisanen gekleidet.
Vassilij repariert gerade einen kleinen Stromgenerator. Er ist 36 Jahre alt, er kommt aus Lviv, Lemberg, dort hat er als Buschauffeur gearbeitet – vor dem Maidan, wie er sagt. Seit zwei Monaten ist er hier und lebt in einem der vielen improvisierten Zelte hier. Bleiben will er bis zum Ende. Man müsse sehen, was jetzt auf der Krim passiert, sagt Vassilij. Er ist noch immer verwundert, dass Russland mit Soldaten die Krim de facto besetzt, das habe sich niemand in den kühnsten Träumen vorstellen können.
Beten, dass sich die Lage wieder beruhigt
Alles hat ja mit friedlichen Demonstrationen von Studenten begonnen, die für die EU-Integration waren und gegen Janukowitsch. "Und jetzt soll es Krieg geben?", fragt Vassilij. Noch glaubt er, hofft er, dass es sich nur um russische Provokationen handelt. Die Ukraine jedenfalls wolle keinen Krieg, sagt er.
Dutzende Zelte, wie das von Vassilij stehen hier auf dem Platz und auf der angrenzenden Chreschatyk-Straße, Barrikaden aus Autoreifen und Sandsäcken, dazwischen überall Blumen, Kerzen und Fotos der getöteten Demonstranten. Studentinnen laufen umher, die Tee ausschenken und Brote verteilen: Sascha kommt noch immer jede freie Minute auf den Platz, um die Ausharrenden hier, die "Maidanovzy", zu versorgen. Sie ist 18 Jahre alt, macht eine Ausbildung zur Kindergärtnerin.
"Alle reden jetzt nur mehr über das, was auf der Krim passiert oder nicht passiert." Dass Präsident Putin soweit gehen würde und Truppen schickt, das habe sie sich nicht vorstellen können. Sie hoffe, dass sich alles noch irgendwie beruhigen wird, meint sie. Beten solle man auf jeden Fall, meint sie.
Einstehen für eine freie demokratische Ukraine
Davon will aber Oleg nichts wissen. Wir treffen ihn vor seinem Zelt bei der Morgentoilette an: ein Kübel kaltes Wasser, in den er seinen Kopf eintaucht, bei null Grad im Freien. Oleg kommt aus Donzek, aus dem Osten der Ukraine, aus der Heimatstadt von Viktor Janukowitsch. Dass alle im Osten für Russland seien, das sei ein Blödsinn, meint er empört. Das sei Desinformation, die Leute hätten dort einfach oft nur Angst, etwas anderes zu sagen. Die fühlen sich zu sehr unter der Knute der Politiker dort, sagt er.
Die Politiker seien alle nur Banditen, die das Land ausrauben, sagt Oleg. Er arbeitet seit 30 Jahren in den Minen dort, er will endlich eine freie demokratische Ukraine haben. Dafür sei er zu allem bereit. Ob die Ukraine die Krim aufgeben soll, um des Friedens mit Russland zuliebe? "Nein niemals", meint Oleg kategorisch. Er und seine Kollegen hier seien bereit, das Land zu verteidigen. Man müsse ihnen bloß Waffen geben.
Ruhe bewahren für den Frieden
"Wir müssen jetzt einmal abwarten", sagt Nikolaj beruhigend, er ist mit seinen 70 Jahren einer der ältesten hier auf dem Maidan. Seit Dezember campiert er in einem der benachbarten Zelte. Jetzt heißt es, Ruhe zu bewahren: "Frieden brauchen wir."
"Es sind auf dem Maidan schon so viele getötet worden, so viele junge Menschen. So viele sind jetzt Invaliden. Und das im 21. Jahrhundert. Das darf nicht sein." Man müsse jetzt mit Bedacht handeln und sich zu keiner überstürzten Handlung hinreißen lassen, sagt Nikolaj. Aber", fügt er hinzu, "wenn es sein muss, dann verteidigen wir die Ukraine."