Charkiv: Zerrissen zwischen Russland und EU

Die diplomatischen Bemühungen in der Krim-Krise treten auf der Stelle. Doch auch in anderen Teilen der Ukraine gibt es Aspaltungstendenzen. Wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt die mit 1,5 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt der Ukraine, Charkiv. Diese Industrie- und Universitätsstadt ist mehrheitlich russischsprachig, es gibt enge Beziehungen zu Russland. Einer Einbindung in die russische Machthemisphäre stehen die Bewohner aber mit höchst gemischten Gefühlen gegenüber.

Autos in Charkiv mit russischen Fahnen

(c) ZURAB KURTSIKIDZE,EPA

Morgenjournal, 8.3.2014

Aus Charkiv berichtet

Protest gegen russische Militäraktionen

Auch in Charkiv gibt es einen Maidan. Hier ist es der Platz vor dem Denkmal des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko. Täglich trifft man sich hier am Abend. Dieser Tage sind es vor allem Friedenskundgebungen.

Die Gefahr, dass Russland auch nach Charkiv Soldaten schicken könnte, sehen viele hier als real, so auch Anton, Physiker am nahegelegenen Technik-Institut: "Wir sind hier, weil wir gegen russische Militäraktionen in der Ukraine protestieren und weil wir all jene auf der Krim unterstützen wollen, die bei der Ukraine bleiben wollen."

Jeder ruhige Tag ist Gewinn für Ukraine

Viele Gerüchte sind dieser Tage im Umlauf in der Stadt, dass russische Panzer gar schon hinter der Grenze stehen würden. Doch niemand weiß etwas Genaues, das verunsichert. Aber jeder Tag, der ruhig vergeht, sei ein Gewinn für die Ukraine, meint Igor, ein junger Reserveoffizier, der ebenfalls täglich zu den Maidan-Treffen hier kommt: "Die Bedrohung ist weiter aufrecht, aber jetzt ist es schon einige Tage ruhig, das Adrenalin beginnt zu sinken", meint er.

Es sind nur wenige Hundert, die sich vor dem Schewtschenko-Denkmal treffen. Die meisten gehen an den Demonstranten einfach vorbei oder beobachten sie von der Ferne aus.

"Russische Freunde, aber kein Teil von Russland"

Sich politisch aktiv zu betätigen, ist einem hier im Osten der Ukraine nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Die starren Strukturen aus Sowjetzeiten sind hier vielfach noch sehr verbreitet. Doch beunruhigt sind auch jene, die nicht zu den Demonstrationen gehen. "Im Prinzip ist eine russische Invasion hier schon real", meint Alexander, "sie ist ja auch auf der Krim real, also warum nicht hier?"

Er sorgt sich in erster Linie um seinen Sohn, der dann zur Armee müsste. Gegen Russen hat er prinzipiell nichts. "Wir sind uns sehr ähnlich, vielleicht so wie Deutsche und Österreicher, aber eben dann doch wieder ein bisschen anders", sagt Alexander, "wir haben russische Freunde, aber ich will nicht Teil von Russland sein." Er persönlich ist für eine EU-Annäherung der Ukraine, auch wenn es anfangs wohl sehr schwierig sein würde. Aber er wolle endlich funktionierende Gesetze im Land und dass die Rechte des Einzelnen geachtet werden.

Viele wollen nicht zur EU

Etwas abseits entspinnt sich ein Streit zwischen Maidan-Anhängern und Gegnern. "Wir können uns keinen höheren Gaspreis leisten, ich will nicht in die Europäische Union. Die Russen sollen ruhig kommen, ich sehe das als Befreiung von den Faschisten in Kiew. Ich wollte nie, dass die Sowjetunion zerbricht, aber sie ist leider zerbrochen", sagt eine Frau.

Etwas skeptisch beobachten Larissa und Natascha diese Vorgänge. "Wir wollen letztlich nur eines, eine friedliche Lösung", sagen sie, "keine russischen Panzer, aber auch keine dieser Demonstrationen mehr. Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es bisher war." Der EU solle die Ukraine nicht beitreten, sagen die beiden jungen Studentinnen. Nach Europa reisen, ja, das wäre toll, aber: "Wir wollen nicht unsere guten Beziehungen mit Russland aufs Spiel setzen."