Drei Jahre nach Fukushima: Mehr Krebsfälle

Die Stadt Namie liegt neun Kilometer nördlich des Atomkraftwerks Fukushima I. Bis heute, drei Jahre nach der Atomkatastrophe, ist sie nicht bewohnbar. Als einzige Gemeinde kümmert sich Namie seit dem Reaktorunfall selbst um die Gesundheit ihrer Bewohner, da sie der Regierung und dem Staat nicht traut.

Mittagsjournal, 10.3.2014

Aus Fukushima

"Für meinen Geschmack zu viele Krebsfälle"

Wenn Minako Fujiwara von ihrem Hund erzählt, wird sie traurig. Der kleine Vierbeiner sei im vergangenen Juni gestorben, berichtet die 56-Jährige: "Ihm sind die Haare am Hals ausgefallen und die Haut hat sich dort schwarz verfärbt. Diese Symptome hat es auch bei Tieren in Tschernobyl gegeben."

Ein Strahlentod ist wahrscheinlich: Bei der Evakuierung aus der Stadt Namie, neun Kilometer nördlich des AKW Fukushima, musste die Familie das Tier zunächst zurücklassen. Frau Fujiwara selbst hat außer hohem Blutdruck kein Gesundheitsproblem. Aber der Gemeindearzt Shunji Sekine befürchtet Strahlenfolgen auch für die Menschen. Er untersucht seit dem Atomunfall die Schilddrüsen von Namie-Bürgern. Vor allem Kinder und Jugendliche seien durch die Einlagerung von radioaktivem Jod aus den Reaktorexplosionen gefährdet. "Bisher fehlen größere Studien, aber ich sehe einen Zusammenhang zwischen Atomunfall und Krebs. Für meinen Geschmack gibt es einfach zu viele Fälle", sagt Shunji Sekine.

Regierung wiegelt ab

Laut den offiziellen Zahlen von Anfang Februar wurden bei einer Viertel Million untersuchten Kindern und Teenagern 33 Krebsfälle gefunden. Das entspricht 13 Erkrankungen je 100.000 Einwohner - mehr als vier Mal so hoch wie der weltweite Durchschnitt für alle Altersgruppen. Dennoch will die Präfekturregierung keine Details über die Krebsfälle veröffentlichen. Stattdessen wiegelt ihr Gesundheitsberater Shunichi Yamashita, der oberste Schilddrüsenexperte Japans, ab: "Die Zeit ist noch nicht reif genug, irgendeine Aussage zu treffen. Dafür müssen wir noch weitere Untersuchungen abwarten."

Doch die Stadt Namie will nicht warten. Schon einmal wurde man Opfer staatlicher Verdunkelung. Erst vier Tage nach dem Tsunami und nach der letzten Reaktorexplosion kam der Befehl zur Evakuierung. Dabei wurden die Flüchtlinge in die unsichtbare radioaktive Wolke hineingeschickt und dadurch stärker verstrahlt, als wenn sie zuhause geblieben wären. Seitdem sammelt Namie möglichst viele Daten über die Strahlenfolgen selbst, berichtet Gesundheitschef Norio Konno. "Wir wollen die Kontrolle über die Gesundheit unserer Einwohner behalten. Und falls wir zum Beispiel von Tepco eine Entschädigung verlangen müssen, brauchen wir gerichtsfeste Belege."

Höhere Zahlen als erwartet

So hat Namie auf eigene Kosten einen Ganzkörper-Scanner angeschafft. Alle unter 40-Jährigen können sich einmal pro Jahr auf Strahlung untersuchen lassen. Der Staat macht dies nur alle zwei Jahre. Außerdem hat Namie die gleichen Strahlenpässe an alle Einwohner verteilt, die auch von den Überlebenden der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki benutzt werden.

Bei jungen Namie-Bewohnern hat es bisher zwei Mal Schilddrüsenkrebs gegeben. Diese Zahl hat den Strahlenexperten Shinji Tokonami von der Universität Hirosaki überrascht: "Das ist höher als erwartet. Möglicherweise liegt dies aber an der großen Präzision der Untersuchungsgeräte. Wir müssen fünf Jahre warten, dann noch mal fünf Jahre, dann können wir etwas sagen."

Doch eine eigene These hat der Forscher bereits jetzt: Eigentlich müsste es sogar noch mehr Fälle von Schilddrüsenkrebs geben, als bisher aufgetreten sind. Doch die Küstenbewohner würden viel jodhaltigen Seetang essen, so Tokonami. Daher war in den Schilddrüsen vieler junger Leute nur wenig Platz für das strahlende Jod, das die Atomanlage über Fukushima schleuderte.