Chodorkowski: Rede in Kiew

Ohne große Ankündigung ist der russische Regimekritiker Michail Chodorkowski in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auf dem Maidan aufgetaucht. Er hat dort die Spuren der Verwüstung gesehen und von den Aktivisten auf dem Unabhängigkeitsplatz gehört, dass immer noch dreihundert Menschen vermisst werden. Siebzig Demonstranten sind erschossen worden - ihre Fotos sind auf dem Maidan zu sehen. Unter dem Jubel ukrainischer Studenten tritt Chodorkowski dann an der Universität der Stadt ans Rednerpult.

Morgenjournal, 11.3.2014

Aus Kiew,

Respekt für Maidan-Bewegung

Nach der überaschenden Freilassung des russischen Kremlkritikers Michail Chodorkowski im vergangenen Dezember ist es ruhig um den ehemaligen berühmtesten Häftling Russlands geworden. Viele hatten sich politisches Engagement von Chodorkowski erwartet, doch bisher war davon nichts zu sehen. Nun aber ist Chodorkowski in die Ukraine gereist, um der Maidan-Bewegung seinen Respekt zu zollen. Bei einem Vortrag vor 2.000 Studenten an der Kiewer Universität kritisiert Chodorkowski offen Putins aggressives Vorgehen gegen die Ukraine.

Ein zum Bersten gefüllter Hörsaal auf dem Polytechnischen Institut in Kiew, der Andrang ist enorm: Er konnte nicht anders, er musste einfach nach Kiew kommen, sagt Michail Chodorkowski: Die Ereignisse auf dem Maidan haben mich zutiefst berührt, beeindruckt und auch betroffen gemacht. Ich musste einfach handeln und herkommen. Denn was jetzt passiert, ist von zentraler Wichtigkeit für die Ukraine, aber auch für Russland.

Chodorkowski betont, dass er als Privatperson gekommen ist. Doch ein Mann wie er, der wegen seiner Kritik an Putin zehn Jahre hinter Gitter verbringen musste, wird hier alles andere als Privatperson gesehen. Auf dem Maidan, den er am Wochenende besucht hat, ist er mit Übergangspremier Arsenij Jazenjuk und anderen Vertretern der neuen Regierung aufgetreten.
Chodorkowskis Auftauchen in Kiew wird dem russischen Präsidenten Putin alles andere als behagen. Ha er doch wohl gedacht, mit der Begnadigung und defacto Abschiebung Chodorkowskis ein Problem losgeworden zu sein. Chodorkowski hat sich nach seiner Freilassung bisher auch nicht wirklich politisch geäußert, doch hier in Kiew bezieht er eindeutig Position: und zwar gegen Putin. Was die russischen Staatsmedien da trommeln, dass hier in Kiew Faschisten das Sagen hätten, sei einfach falsch, sagt Chodorkowski, es gibt hier nicht mehr Faschisten als in Petersburg oder Moskau.

Dass Russland sich in die Ukraine einmischt sei ein historischer Fehler, sagt Michail Chodorkowski und erntet dafür lautstarken Applaus. Ob er, der doch Präsident Putin persönlich kenne, überhaupt noch eine Möglichkeit sehe, dass mit Putin die Krimkrise demokratisch gelöst werden kann, fragt dann eine Studentin. Angesichts der Verhältnisse in Russland wisse er nicht, was Sie da unter demokratisch verstehe, sagt Chodorkowski mit einem Seitenhieb. Aber einen anderen Ausweg als den über Gespräche sehr er persönlich nicht. Man müsse sich darauf einstellen, dass die Lösung der Krimfrage lange dauern wird.