Russland verliert auch "Human-Kapital"
Mit seinem Ukraine-Kurs tut Wladimir Putin Russland keinen guten Dienst, sagt der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew. Denn nicht nur finanzielles Kapital fließe aus Russland ab, sondern auch humanes - jene kritische Masse an Unzufriedenen, Liberalen und demokratisch Gesinnten nämlich, die für einen Umbau des Landes nötig wären.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 3.4.2014
Aus Moskau,
"Konsumentenvertrauen bricht ein"
Schon vor der Krim-Krise stand Russland vor einer Rezession. 2013 wuchs das Bruttoinlandsprodukt nur mehr um gut ein Prozent. Nun bremsen die Spannungen zwischen Moskau und dem Westen den Wirtschaftsmotor zusätzlich: um knapp zwei Prozent könnte das BIP heuer schrumpfen, schätzt die Weltbank in Washington. Schon jetzt suchen Anleger in Russland das Weite: nach Regierungsangaben flossen allein im ersten Quartal dieses Jahres rund 70 Milliarden Dollar aus dem Land ab, mehr als im ganzen letzten Jahr. Kein Wunder, sagt der Ökonom Wladislaw Inosemzew, die Unsicherheit schrecke Investoren ab: "Die Investitionen brechen ein, und nicht nur ausländische, auch russische Anleger verlassen das Land und zwar samt ihren Unternehmen. Sie können hier ihre Aktiva immer schwerer verkaufen und bekommen kaum mehr Kredite. Die Zinsen werden steigen und das Konsumentenvertrauen bricht ein."
"Putin wird Ukraine destabilisieren"
Inosemzew rechnet heuer mit einem Einbruch der Wirtschaft um 2,5 Prozent. Im schwachen Rubel, der vielen Investoren Sorgen bereitet, sieht er jedoch auch Positives. Immerhin spüle dieser viel Geld in die Staatskasse, da die Rohstoffexporte in Dollar abgerechnet würden. Dass die einbrechende Wirtschaft den antiwestlichen Kurs Putins ändern könnte, glaubt Inosemzew nicht. Im Gegenteil, der Präsident werde sich nicht mit der Krim begnügen: "Bis zu den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine wird er die Lage im Osten des Landes destabilisieren, so dass die Wahlen nicht anerkannt werden und die Leute sich von Kiew nicht ernstgenommen fühlen. Es wird Ausschreitungen geben, Rufe nach einem Referendum und Putin wird im Osten eingreifen."
Keine "Perestroika zwei"
Aufhalten könne der Westen Putin nur mit echten Sanktionen im Finanzsektor: "Man könnte das Eigentum von Russen in Europa genau überprüfen und ob das investierte Geld legal erworben wurde. Man könnte russische Unternehmen aus den westlichen Börsen nehmen und keine Zahlungen russischer Banken mehr in Dollar abwickeln. Das würde die finanziellen Verbindungen Russlands mit dem Westen unterbrechen und das russische Bankensystem wochenlang lähmen." Was ein Schock für russische Großunternehmen wäre, so Inosemzew.
Der Westen werde solche Sanktionen aber kaum beschließen und Putin seinen isolationistischen Kurs fortsetzen. Wirtschaftlich gehe das einige Jahre gut, prognostiziert Inosemzew, Russland verfüge über genügend Reserven. Dann aber drohe die gleiche Situation wie Ende der 1980er-Jahre, vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Anders als damals werde aber niemand eine "Perestroika zwei" durchführen, die gut ausgebildeten, liberalen Russen seien dann längst weg: "Diese sagen sich schon heute: Hier werden wir nicht gebraucht, können nichts verändern und haben keine Perspektive. Also verkaufen sie alles was sie haben und verlassen das Land in Richtung Westen. Es ist das Vernünftigste, was sie tun können." Russland unterdessen werde auf lange Sicht, ein autoritär regierter Staat bleiben.