Türkei: Kaum Hoffnung auf Überlebende

Die Zahl der Toten beim schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei ist nach Angaben der Regierung auf 282 gestiegen. In den vergangenen zwölf Stunden wurde niemand mehr lebend aus dem Kohlebergwerk Soma geborgen. Etwa 120 Menschen dürften noch in einem Stollen eingeschlossen sein, die Chance, sie lebend zu finden schwindet aber mit jeder Minute.

Mittagsjournal, 15.5.2014

Aus Soma,

"War kein Unfall"

Gespenstische Ruhe herrscht heute Früh vor dem Eingang der Kohlegrube. Drinnen sind immer noch mehr als hundert Bergarbeiter eingeschlossen. Draußen stehen ihre Väter, Brüder und Frauen und können nichts tun als warten: Ich glaube nicht mehr, dass ich meinen Sohn noch lebend wiedersehe, sagt einer. Der Bruder des Verschütteten steht wortlos daneben. Ein Anderer arbeitet selbst in diesem Bergwerk. Seine Schicht war zu Ende, bevor die Katastrophe passiert ist: Das war kein Unfall, das war ein Fehler, erzählt er. Als die versucht haben ein Kabel zu reparieren, ist ein Funke gesprungen. Und eine Stunde lang hat niemand von der Leitung etwas unternommen. Eine Stunde lang.

Dass die Arbeit im Bergwerk gefährlich ist, weiß jeder in Soma. Die Stadt riecht nach Kohle. Die meisten leben schon seit jeher vom Bergbau. Und doch war es für viele schockierend, als Ministerpräsident Erdogan die Katastrophe gestern als unabwendbare Begleiterscheinung des Bergbaus hingestellt hat.

Angefangen mit England und Frankeich habe es in der Geschichte des Bergbaus immer Unfälle gegeben, sagte Erdogan. Und es gäbe Arbeitsunfälle eben auch in anderen Betrieben. Die Türkei würde da nicht schlechter da stehen als andere Länder.

Drohungen im Wahlkampf

Was den Menschen in Soma, und vor allem den Angehörigen der Opfer, besonders sauer aufgestoßen ist: Kein Wort der Selbstkritik, auch wenn der Regierungschef eine genaue Untersuchung angekündigt hat. Viel zu lange hätte man sich aus Angst um den Arbeitsplatz zu viel gefallen lassen, ärgert sich die Frau eines pensionierten Bergarbeiters. Sogar bei den Wahlen hat die AKP uns dazu gebracht, gegen unseren Willen für sie zu stimmen. Denn sonst würden sie uns das Bergwerk wegnehmen.

Der zuständige Gewerkschaftsobmann des Bergwerks findet nur lobende Worte für die Betriebsleitung. Schließlich ist er von ihr ausgesucht worden. Doch in anderen Teilen des Landes haben Gewerkschaften heute zu einem Warnstreik aufgerufen. Die Explosion von Soma, die wahrscheinlich mehr als 300 Arbeiter getötet hat, solle nicht als eine unabwendbare Naturkatastrophe aufgefasst werden.