"Starke Lebenszeichen der Ukraine"
Die gelungene Präsidentschaftswahl ist ein starkes Lebenszeichen des ukrainischen Staates. Russland werde der weiteren Entwicklung aber nicht tatenlos zusehen, warnt der US-Historiker Timothy Snyder. Snyder hat mit "Bloodlands" eines der Standardbücher zur Geschichte der Ukraine geschrieben und hat sich in den letzten Monaten einen Namen als Unterstützer der Demokratiebewegung am Maidan gemacht.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 26.5.2014
Starker demokratischer Wille
Die Ukraine ist ein handlungsfähiger und kein gescheiterter Staat, das ist eine der Erkenntnisse der Präsidentschaftswahl - ein Staat, dessen Bürger starken großen Willen zeigen, ihr politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, sagt Timothy Snyder, Professor für Geschichte an der Universität Yale und ständiger Mitarbeiter des Institutes für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Die Wahl habe auch Klarheit über die politische Landschaft in der Ukraine gebracht: Die beiden rechtsextremen Kandidaten Jarosch und Tjaginbok haben gemeinsam weniger als zwei Prozent der Stimmen bekommen. "Die Diskussionen der letzten vier Monate waren moralisch und intellektuell ein kompletter Fehlschlag: Die Frage, ob die Ukraine faschistisch ist, war schlicht gesagt lächerlich. Wir sehen jetzt, dass die Rechtsextremen in der Ukraine viel schwächer sind als in den Ländern, aus denen die Kritik kommt."
Verbindung Russland - Front National
In der Ukraine sei Rechtsextremismus also ein Randphänomen, in Russland sei ein rechts-autoritäres Regime hingegen an der Macht, ein Regime, das enge Verbindungen zu rechten Parteien in Europa habe, vor allem dem Front National in Frankreich. Das sei ein Problem, das von der EU noch kaum wahrgenommen werde. Russland habe sich im Vorfeld der Wahl zwar etwas zurückgenommen, es werde die Ukraine aber nicht einfach in Ruhe lassen: "Das wird sicher nicht passieren. Putin hat seine Innenpolitik schon viel zu eng mit der Außenpolitik verknüpft. Er hat den Russen gezeigt, dass ihr Land scheinbar sehr stark ist und tun kann was es will. Dazu muss er für die Bevölkerung eine Art Fantasiewelt erschaffen und damit die weiter besteht muss er außenpolitisch auch Erfolge vorweisen."
Mehr Rechtssicherheit wichtig
Dass die Wahl in der Ukraine und zum Europäischen Parlament gleichzeitig stattgefunden hat, entbehre nicht einer gewissen Ironie, sagt Snyder: Dort seien die Menschen in großer Zahl zu den Urnen gegangen, um das zu erreichen, was für Europäer selbstverständlich ist: ein funktionierender Staat, stabile Lebensbedingungen. Hier würden nur wenige zur Wahl gehen, weil sie mit dem System nicht zufrieden sind: "Die Ukraine hat ein Problem: Sie braucht Rechtssicherheit. Poroschenko ist sehr stark ein Mann des alten Regimes, er war aber auch am Maidan und hat gezeigt dass er nicht nur mit reichen Leuten umgehen kann. Man kann nur hoffen, dass er die Bedeutung von Rechtssicherheit versteht, denn das ist das wichtigste Thema: nicht nur am Maidan sondern auch im Osten, in Donezk und Lugansk."
Und mehr Rechtssicherheit wünscht sich der Historiker Snyder auch von der EU. Dass ukrainische Oligarchen ihre Vermögen über Jahre hinweg so einfach nach Europa hätten verschieben können, habe die Ukraine ruiniert und auch die Länder Westeuropas korrumpiert - gerade Österreich, das eine Drehscheibe für Geld aus Osteuropa ist. Europa könnte nicht nur den Menschen in der ehemaligen Sowjetunion helfen, sondern auch sich selbst, wenn es bei Geldwäsche und Kapitalflucht künftig kein Auge mehr zudrückt.