Entwicklungsdrama "Boyhood"

Von Sommer 2002 bis Herbst 2013 hat der US- Regisseur Richard Linklater die Höhen und Tiefen einer fiktiven amerikanischen Durchschnittsfamilie mit der Kamera beobachtet. Im Zentrum steht die Entwicklung eines Buben im Alter von sechs Jahren bis zum Ende seiner Mittelschulzeit. Das Ergebnis dieses Langzeit-Projekts mit dem Titel "Boyhood" stieß bei der heurigen Berlinale auf geradezu euphorische Zustimmung bei Publikum und Kritik.

Jedes Jahr gab es nur ein paar Drehtage, die Schauspieler sind also mit ihren Figuren mitgewachsen. Linklater selbst wurde mit einem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet.

Morgenjournal, 3.6.2014

Das Aufwachsen ist eine Ansammlung von Gratwanderungen. Für Eltern genauso wie für Kinder. Permanent muss man Entscheidungen treffen zwischen Verantwortung für den Nachwuchs und individueller Persönlichkeitsentfaltung, zwischen Regeln und Verboten und dem Gewähren von Freiheiten. Fehler sind dabei programmiert. Richard Linklaters Film "Boyhood" sammelt über 12 Jahre hinweg die Gratwanderungen im Alltag einer texanischen Familie, die Zeit wäre daher die eigentliche Protagonistin seines Films, so Linklater.

Kontrollierter Cola-Konsum

Vater, Mutter, ein Bub und ein Mädchen. Die Eltern sind getrennt. Die Mutter trägt die Last der häuslichen Pflichten. Kinder müssen ja in die Schule, was Vernünftiges essen, den Küchendienst lernen und der Coca-Cola-Konsum gehört auch kontrolliert. Der Vater - Marke Freigeist - fährt im mattschwarzen Muscle-Car vor, besorgt die Baseballkarten und die sexuelle Aufklärung, gibt den Singer-Song-Writer und bezahlt das sowieso verbotene Fast-Food, kurzum, Papi ist der Entertainment-Darling.

Kindliche Wahrnehmung

Regisseur Linklater hätte die Gegensätze zwischen den Eltern ausreizen können, doch er entscheidet sich für die Wahrnehmung des kleinen Mason, vermittelt dessen Sehnsüchte nach einer intakten Familie, dessen Ängste und Zweifel, aber auch wie man als 6-Jähriger durch das Studieren der Unterwäscheseiten in Versandhauskatalogen die Reize der Weiblichkeit entdeckt.

Träumerischer Entdecker

"Boyhood" besticht durch soziale Sensibilität, konsequenten Naturalismus, warmherzigen Humor und die Kunst der Beiläufigkeit. Während sich das Coming-Of-Age Genre im Kino oft als Aneinanderreihung von ausschlachtbaren Ritualen - der erste Kuss, der erste Sex, forcierter Rebellionsgeist - erweist, ist Linklaters Held Mason ein träumerischer Entdecker, aber auch mit den Zurichtungen der Erziehung konfrontiert, also mit der Rechtfertigung für unaufgeräumte Kinderzimmer, zu spätes nach Hause kommen oder unerledigte Hausaufgaben. Mason gehören alle Sympathien, ein gutes Gefühl, sich um ihn auch am Ende keine Sorgen machen zu müssen.

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