Renzi drängt EU zu Kurswechsel

Italiens energiegeladener Premiermnister Matteo Renzi rüstet zum Kampf, um die EU zu einem Kurswechsel zu zwingen. Kurz vor dem EU-Gipfel und nur wenige Tage bevor Italien die sechsmonatige Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernimmt, hat der junge Regierungschef vor dem Parlament in Rom zu einer programmatischern Rede ausgeholt. Die EU müsse aufhören, sich seelenlos an Zahlen zu klammern, so der Premier.

Mittagsjournal, 25.6.2014

"Auf Wachstum achten!"

Italiens Premier rüttelt gewaltig am Stabilitätspakt. Nach seinem triumphalen Sieg in der EU-Wahl ist Renzi zu einer führenden Stimme jener in Europa geworden, die fordern: Schluss mit der rigiden Sparpolitik! "Sie verstößt gegen den Europäischen Geist", ruft Renzi in seiner Programmrede zu Italiens EU-Semester: "Es verstoßen diejenigen gegen Verträge und Geist der EU, die nur vom Stabilitätspakt reden wollen. Und nicht die, die wollen, dass man auch von Wachstum spricht. Denn das konstituierende Element der EU ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Es gibt keine Stabilität ohne Wachstum, ohne Kampf gegen Arbeitslosigkeit."

Dabei, wird Renzi nicht müde zu wiederholen, stelle Italien nicht die bestehenden Fiskalregeln in Frage und werde die strenge Grenze der jährlichen Neuverschuldung von drei Prozent einhalten: "Wir glauben nicht, dass die Regeln geändert werden müssen. Aber man kann mit ihnen anders umgehen. Nicht mehr wie bisher nur auf Bilanzparameter achten, sondern auf das Wachstum der Länder."

Breitere Interpretation der Regeln

Mit anderen Worten, Renzi verlangt - mit Europas Sozialdemokraten im Bunde - mehr Spielraum in der Interpretation der Fiskalregeln: Erstens, dass staatliche Investitionen in Wachstum und Beschäftigung aus der Defizitberechnung herausgenommen werden dürfen. Und zweitens, mehr Zeit für den Schuldenabbau.

Im Gegenzug verspricht Renzi Reformen, so wie einst Gerhard Schröder. Damals habe Deutschland, führt Renzi ins Treffen, die EU-Defizitgrenze verletzt - was Italien nicht vorhabe: "Wenn Deutschland heute stärker dasteht als alle anderen, dann ist das Dank der Reformen von Gerhard Schröder."

Rückenwind wie lange nicht

Ein größerer finanzieller Spielraum würde Italien helfen. Es erholt sich nur in winzigsten Schritten von der schweren Rezession, die Arbeitslosigkeit geht nicht zurück und die Aussichten sind schwach. In hundert Tagen wollte Renzi seine Struktur- und Verfassungsreformen durchpeitschen. Aber er ist realistischer geworden: Aus 100 Tagen sind in seiner gestrigen Rede 1000 geworden. Der Weg Italiens ist noch steil und weit. Das Reformprogramm steckt in den Anfängen fest. Aber die Italiener wollen, dass Renzi etwas verändert. Er hat Führungsqualitäten, enorme Energie und einen Rückenwind, wie ihn seit Jahrzehnten kein Premier mehr hatte.