Österreichische Jugendliche kämpfen für Kalifat

Mehr als 100 junge Menschen aus Österreich sollen in den vergangenen Monaten in den islamistischen Kampf, vor allem nach Syrien, gezogen sein. Ein mutmaßlicher Dschihadist ist heute in Wien wegen angeblicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung vor Gericht gestanden. In einer Stunde soll es das Urteil geben. Experten mahnen jetzt: Österreich müsse mehr tun, um die islamistische Radikalisierung von Jugendlichen zu verhindern.

Mittagsjournal, 1.7.2014

Auch Österreich Teil des Kalifats

Rund 50 Kämpfer sind, laut Innenministerium, bisher aus Syrien nach Österreich zurückgekehrt. Viele sind traumatisiert, enttäuscht und frustriert vom Dschihad, sagt der Politologe und Islam-Experte Thomas Schmidinger, manche aber seien so radikalisiert, dass Schmidinger eine Gefahr hier nicht ausschließt: "Es wird sicher schwieriger, weil der Islamische Staat im Irak und Syrien auf seinen Phantasielandkarten vom Kalifat auch Österreich als Teil des Kalifat-Territoriums eingezeichnet hat".

Ob das für den 20-Jährigen zutrifft, der heute in Wien vor Gericht steht, ist völlig unklar. Vorgeworfen wird ihm, er sei in einem Ausbildungs-Camp für Krieg und Terror in Syrien gewesen. Beweise dafür gibt es aber nicht. Und der junge Mann selbst und ein Onkel sagen, er war bei seinen Verwandten in der Türkei. Mit Internet-Postings, dass er nach Syrien kämpfen gehe, habe er nur angeben wollen.

Radikalisierung über Soziale Netzwerke

Laut Islam-Experten Schmidinger, erfolgt die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher oft über eine islamistische Jugendszene. "Es gibt mittlerweile auch in Europa eine subkulturelle Jugendszene, die auch über soziale Netzwerke, YouTube-Videos, Facebook oder Twitter ganz eng an diese Bewegungen geknüpft ist", sagt Schmidinger. Sozial deklassierte Jugendliche hätten die Sehnsucht ein heroisches Männlichkeitsbild auszuleben und in den Krieg zu ziehen.

Möglich sei die Radikalisierung auch, weil diese jungen Moslems in Österreich in vieler Hinsicht heimatlos seien. "Klar läuft in Österreich etwas schief. Das sind unsere Jungs und teilweise auch Mädels die von hier weg gehen. Das sind Menschen, die entweder persönliche schwere Krisensituationen erleben oder die sich beruflich oder sozial nicht zu Recht finden in diesem Land", sagt Thomas Schmidinger. Zur Vorgeschichte der Jugendlichen zählen, laut Schmidinger, oft Drogenkonsum oder Kleinkriminalität. Durch die Beteiligung am vermeintlichen Dschihad wollten sich die jungen Moslems oft auch von Schuld reinwaschen.

Beratungsstellen nach deutschem Vorbild

Um ihre Radikalisierung von vornherein zu verhindern, müsse man, wie in Deutschland, versuchen, diese Jugendlichen früher aufzufangen. "Es gibt in Deutschland Beratungsstellen für Lehrer, Arbeitgeber oder Eltern, die über diese Bezugspersonen versuchen die Jugendlichen zu erreichen. So etwas brauche es in Österreich auch", sagt Schmidinger. Und zwar mit Psychologen, Szene-Kennern und Islam-Experten. Das Innenministerium plant seit mehr als einem Jahr eine Deradikalisierungs-Stelle. Es gibt auch Gespräche mit Experten und Hilfsorganisationen. Aber wo die Stelle angesiedelt sein soll und wer mitarbeiten wird, ist noch unklar. Politologe Schmidinger meint: "Eine Hotline, die bei der Polizei angesiedelt ist bringt gar nichts".

Die Deradikalisierungs-Anlaufstelle soll laut Innenministerium kommendes Jahr starten. Das Urteil im heute zu Ende gehenden Prozess gegen den 20-Jährigen aus der Türkei stammenden, mutmaßlichen Wiener Dschihadisten dürfte in etwa einer Stunde bekannt sein.

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