Verwunderung über russische Gesetzesflut

"Abnickgremium" nannten Kritiker bisher das russische Parlament, jetzt trägt es die Bezeichung "verrückt gewordener Drucker" - weil es nicht nur kremlgenehme Gesetze durchwinkt, sondern auch in atemberaubender Geschwindigkeit die absurdesten Gesetze beschließt. Einige davon setzen aber im Schatten der momentanen hurrapatriotischen Stimmung Regimekritiker und Zivilgesellschaft weiter unter Druck.

Mittagsjournal, 10.7.2014

Weltfremd oder Absicht?

Ab September 2016 dürfen persönliche Daten russischer Bürger nur mehr auf inländischen Servern gespeichert werden. Offiziell, um Russland vor ausländischen Spionageangriffen zu schützen. Speichert ein Unternehmen künftig Daten russischer Bürger im Ausland, muss es seine Tätigkeit in Russland einstellen. Experten warnen vor einem neuen Eisernen Vorhang. Russen könnten so künftig weder Flüge ins Ausland noch Hotels buchen, da internationale Buchungssysteme keine Server in Russland haben. Selbst ein Visumsantrag wird so zum Ding der Unmöglichkeit, kritisiert Wladimir Gontscharow vom russischen Verband der Reiseveranstalter: "Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder verbietet man den Russen, das Land zu verlassen, oder man gibt ihnen Pässe mit falschen Namen und Daten."

Der kremlkritische Ökonom Sergej Alexaschenko ätzt, das einzig Gute am neuen Datengesetz sei, dass es nicht vollständig umgesetzt werden könne. Eine nur teilweise und willkürlich angewendete Gesetzgebung wiederum verhindere aber, die darniederliegende russische Wirtschaft aufzurichten. Blogger und Internetexperten befürchten unterdessen, dass soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, die persönliche Daten im Ausland speicherten, geschlossen werden könnten.

Freiheiten eingeschränkt

Ein weiteres, in Blitzgeschwindigkeit beschlossenes Gesetz verbietet künftig Reklame im Kabelfernsehen. Was das wirtschaftliche Aus für die letzten unabhängigen Stimmen in der staatlich gesteuerten Medienwelt bedeuten könnte, wie für den regierungskritischen Sender "Doschd", der zuerst aus dem Kabelnetz geworfen wurde, bald aber dort wieder senden darf. "Es müssen nicht nur Kabelsender schließen", kritisiert Michail Silin, Vertreter des russischen Kabelsender-Verbandes, "sondern es werden tausende kleine und mittlere Unternehmen leiden, die sich Werbung in den großen Fernsehkanälen nicht leisten können."

Doch solche Stimmen gehen unter im hurrapatriotischen Gesetzgebungskonzert des Parlaments, das eine bürgerliche Freiheit nach der anderen einschränkt. Nun wandert ins Gefängnis, wer öffentlich zum Separatismus aufruft, also etwa sagt, dass Krim nicht zu Russland gehöre. So will Russland seine territoriale Einheit schützen, etwas, was man der Ukraine nicht zugestand.

Göttlicher "Porno" auf Banknote

Mittlerweile nehmen die Verbotswünsche der Parlamentarier absurde Züge an: So verlangte in diesen Tagen ein Abgeordneter, den antiken griechischen Gott Apollon von der 100-Rubel-Banknote zu entfernen. Der Grund: Das göttliche Geschlechtsteil ist ohne Hose zu sehen. Pornografisch sei das und verderbe die Kinder, empört sich der Abgeordnete. Sein Wunsch wurde nicht Gesetz. Zumindest noch nicht.