Türkei vor der Wahl: die Außenpolitk Erdogans

Am kommenden Sonntag wird in der Türkei zum ersten Mal ein Präsident direkt vom Volk gewählt. Recep Tayyip Erdogan wird bereits als Favorit gehandelt. Seiner Außenpolitik steht die türkische Bevölkerung jedoch gespalten gegenüber.

Mittagsjournal, 7.8.2014

Unzufriedenheit wächst

Wenn Recep Tayyip Erdogan am kommenden Sonntag zum Präsidenten gewählt wird, dann nicht wegen seiner Außenpolitik. Zwar stellen ihn die türkischen Medien, die zum Großteil von seiner Partei kontrolliert werden, als überragenden Staatsmann dar, der auch die Geschicke der Welt mitbestimmt, doch die Mehrheit der Türkinnen und Türken zeigt sich laut einer Umfrage unzufrieden mit der Rolle, die ihr Land international spielt. Zu groß ist offenbar die Kluft zwischen den Erwartungen, die Erdogan und sein Außenminister Davutoglu geweckt haben, und der Wirklichkeit, meint der türkisch-deutsche Politikwissenschaftler Ekrem Güzeldere.

Kein Partner mehr in der Region

In den letzten Jahren seien der Türkei vor allem im Nahen Osten, aber auch in Europa und den USA, die Partner verloren gegangen, konstatiert Güzeldere. Dies würde vor allem jene Länder betreffen, in denen es gerade Konflikte gibt, wie beispielsweise Ägypten, Syrien oder Israel. Da die Botschafter aus diesen Ländern abgezogen worden sind, habe die Türkei „deshalb wenig Möglichkeiten, auf die Politik dieser Länder Einfluss zu nehmen“, schätzt der Politikwissenschafter die Lage ein.

Vor fünf Jahren hatte das noch anders ausgesehen. Die Türkei verstand sich als Brücke zwischen Ost und West, als Vermittler in der Region und als demokratiepolitisches Vorbild für den Arabischen Frühling. Die AKP-Regierung dehnte den wirtschaftlichen Einfluss der Türkei bis nach Afrika aus und verstand sich selbst als Schwergewicht in der Welt, vergleichbar mit Russland oder China.

Doch dies änderte sich, als Erdogan seinen alten Freund, den syrischen Diktator Assad, über das türkische Fernsehen zum Rücktritt aufgerufen hat.
Die Türkei hätte ihr starkes Wirtschaftswachstum zwar gut genützt, doch außenpolitisch hätte die Regierung ihre Einflussmöglichkeiten sowohl in der Region als auch weltweit stark überschätzt, analysiert der Politologe.

Irakische Kurden als neue Freunde

Trotz der abkühlenden außenpolitischen Beziehungen zu vielen Nachbarn hat es Erdogan dennoch geschafft, eine neue Allianz zustande zu bringen, nämlich die zu den Kurden im Nordirak. Mit türkischer Unterstützung ist es den irakischen Kurden, die über enorme Ölreserven verfügen, gelungen, unabhängig von Bagdad einen eigenen Staat im Staat zu bilden. Ein riskantes Manöver für eine Regierung, die im eigenen Land eine starke kurdische Minderheit hat. Zudem fürchten viele Türken, dass syrische, irakische und türkische Kurden sich zu einem Großkurdistan zusammenschließen könnten. Doch selbst das hat Erdogan nicht abgeschreckt. Zu Recht, wie der Politologe Ekrem Güzeldere meint. Denn für die Kurden des Nordirak sei es von geringem Interesse, in einem Verbund mit den türkischen Kurden zu sein, da diese aufgrund ihrer überwiegenden Anzahl eine etwaige kurdische Föderation dominieren würden.

Eiszeit zu Brüssel

Jahrzehntelang war schon der Name ‚Kurdistan‘ in der Türkei ein Tabu gewesen. Dass er dieses Tabu gebrochen hat, will Erdogan bei den Wahlen am Sonntag für sich nutzen. Der erhoffte Applaus aus dem Ausland, insbesondere von Seiten der EU, die die Türkei schon längere Zeit dazu gedrängt hat, den Kurden-Konflikt zu lösen, ist bislang aber ausgeblieben. Denn mittlerweile haben andere Probleme die Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel belastet. Neben den Einschränkungen der Pressefreiheit, die Eingriffe in die Justiz und Erdogans eigenwillige Nahostpolitik im Besonderen haben dazu geführt, dass die 2005 so hoffnungsvoll begonnenen Verhandlungen mit Brüssel eingefroren sind.

„Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass sich unter der jetzigen Regierung, mit dem jetzigen Personal, Entscheidendes verändern wird. Die Regierung hat in den letzten Jahren kaum Gesetze verabschiedet hat, die man im Rahmen von EU-Harmonisierung sehen könnte“, beurteilt Güzeldere die Frage nach neuen Verhandlungen mit der EU. Eine Änderung der Türkei-EU-Beziehungen sei höchstwahrscheinlich erst mit einer neuen Regierung zu erwarten, und das wird wahrscheinlich erst in 5 Jahren oder noch später der Fall sein, schätzt er.

Dass zwischen der Türkei und der EU nichts mehr weiter geht, das liege aber nicht nur an Erdogan, meinen auch seine Kritiker. Jahrelange Frustration der Türkei über die europäischen Blockaden haben es Erdogan leichter gemacht, die Vorgaben und Kriterien der EU über Bord zu werfen. Sollte Erdogan am Sonntag gewählt werden, wird er sich in nächster Zeit auf sein innenpolitisches Hauptthema konzentrieren: Den Staat so umzubauen, dass künftig alle Macht beim Präsidenten liegt.