Erdogan: Profit aus Gaza-Krise
Immer größere Schockwellen erzeugt der neue Nahost-Konflikt - nicht nur in Europa, wo gegen und für Israel demonstriert wird, sondern auch in der Türkei. Dort will sich Premier Erdogan in zwei Wochen zum ersten direkt gewählten Präsidenten des Landes machen. Und er muss Israel eigentlich dankbar sein. Denn die Offensive in Gaza und die Militäroperation gegen die Hamas erhöhen seine Wahlchancen enorm.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 26.7.2014
Aus Istanbul,
Recep Tayyip Erdogan scheint die kommende Präsidentenwahl mit sich allein auszufechten. Auf Plakatwänden ist weit und breit niemand Anderer zu sehen als er. Das türkische Fernsehen widmet dem Regierungschef, wie unlängst ausgewertet wurde, etwa hundert Mal mehr Sendeminuten als den beiden Oppositionskandidaten zusammen.
Und weil ihm ernsthafte innenpolitische Rivalen fehlen, legt Erdogan sich in seinen Wahlkampfreden gerne mit dem Rest der Welt an: Denn außer ihm würden bei der Gaza-Krise derzeit alle Politiker der Welt versagen: Das Ärgste ist dass die Welt trotz dieser Barbarei schweigt. Die USA bleiben still. Die zivilisierte Welt rührt sich nicht. Und leider muss ich sagen dass viele muslimische Staaten Israels Brutalität unterstützen.
Die Eskalation der Gewalt zwischen Israel und der palästinensischen Hamas verschafft Erdogan zusätzlichen Aufwind. Mühelos konnte die AKP in 50 Provinzen des Landes Anti-Israel-Demonstranten auf die Straße bringen.
Die Empörung über die Tötung muslimischer Kinder ist in der Türkei zweifellos weit verbreitet. Und Erdogan nützt die Gelegenheit um sich als einziger Fürsprecher aller unterdrückten Muslime darzustellen.
Opposition chancenlos
Mit Hilfe der Gaza-Krise stilisiert sich der Wahlkämpfer Erdogan zum Weltpolitiker. Aber auch ohne Gaza hätten die beiden Oppositionskandidaten keine Chance, Erdogans angesagten Blitzsieg zu verhindern. Der konservative Zentrumspolitiker Ihsanoglu und der linksliberale Kurde Demirtas, beide der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, dürften nach derzeitigem Stand zusammen auf 40 Prozent der Stimmen kommen. Nicht genug, um einen zweiten Wahlgang zu erzwingen.
Die Türkei und die Welt brauchen einen noch stärkeren Erdogan, so lautet seine Botschaft an die Wähler. Dafür muss die AKP auf ihn als Parteichef in Zukunft verzichten, so schreibt es die türkische Verfassung vor. Unter Tränen haben seine Abgeordneten diese Woche den Verlust zur Kenntnis genommen. Doch Erdogan hat sie getröstet: Er werde den künftigen Partei- und Regierungschef nach Kräften unterstützen.
Die gefährlichsten Gegner der AKP sollen offenbar bereits vor der Präsidentenwahl ausgeschaltet werden: In den letzten Tagen wurden Dutzende hohe Polizeibeamte verhaftet und in Handschellen abgeführt. Ihnen wird vorgeworfen, im vergangenen Dezember die Korruptionsermittlungen gegen Regierungsmitglieder geleitet zu haben.
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