Zukunft der Stadtkultur

Wien wächst und zwar rasanter als gedacht: Schon 2029 wird die Einwohnerzahl laut neuesten Studien die Zweimillionenmarke überschreiten. Nicht nur für Wohnbau und Verkehrsplanung, auch für die Kulturpolitik ergeben sich daraus entscheidende Fragen: Wie soll die kulturelle Landschaft in den Wiener Peripheriegebieten ausschauen, in denen der größte Zuzug zu erwarten ist? Welche internationalen Vorbilder gibt es?

Kulturjournal, 03.09.2014

Tanja Gerlich vom Stadtteilmanagement der Seestadt Aspern führt über die Rollbahn des ehemaligen Flugfelds. Die Fläche dient zurzeit als Areal für kulturelle Zwischennutzung. Das Stadtteilmanagement, eine Informations- und Anlaufstelle für künftige Bewohnerinnen und Bewohner, hat hier in den vergangenen Wochen einen Kultursommer mit Filmabenden, DJ-Lines und einem Tanzworkshop veranstaltet.

Kultur am Stadtrand

Demnächst werden die ersten Bewohner/innen hierher ziehen und schon jetzt arbeitet man daran, ein Gemeinwesen und eine kulturelle Infrastruktur aufzubauen. In anderen, traditionellen Peripheriegebieten Wiens sehe es mit der kulturellen Nahversorgung weit schlechter aus, weiß Walter Rohn. Der Mitarbeiter am Institut für Stadt- und Regionalforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat Kulturinitiativen in den Randzonen von Wien und Paris miteinander verglichen: Hier sei aufgefallen, dass die Stadt Paris bewusst Schwerpunkte in den Stadtrandbezirken setze.

Walter Rohn ging es um die Frage, welche Kulturprojekte in Außenbezirken ein stadtweites Publikum anzusprechen vermöchten. Hier habe sich vor allem im 16. Bezirk in den letzten Jahren ein neues Zentrum mit der Brunnenpassage oder dem Festival "Soho in Ottakring" gebildet. Strukturell benachteiligt seien hingegen traditionell die Bezirke jenseits der Donau, die in den kommenden Jahren jedoch am schnellsten wachsen werden. Zu diesem Schluss kommt auch Johannes Suitner, Stadt- und Regionalforscher an der TU-Wien: "Gerade wenn es darum geht, diese Orte in den kulturellen Mittelpunkt Wiens zu stellen, dann sind Favoriten, Simmering, Floridsdorf oder Donaustadt nicht im Zentrum der Debatte und das ist schade."

"Ein Umdenken ist nötig"

Angesichts des raschen Bevölkerungswachstums in Wien, das vor allem durch Zuzug vonstattengeht, plädiert Suitner für ein Umdenken: Kulturpolitische Stadtentwicklung sei mehr als die Suche nach neuen Museums- oder Theaterstandorten.

Beispiel Berlin-Neukölln

Wie das in der Praxis aussehen könnte, weiß Dorothea Kolland zu berichten. Die deutsche Musikwissenschaftlerin war von 1981 bis 2012 Leiterin des Kulturamts im Berliner Bezirk Neukölln. In den dreißig Jahren ihrer Tätigkeit hat sie im kulturell einst brachliegenden Stadtteil mehrere Institutionen aufgebaut: darunter die Oper Neukölln, die heute die meisten Uraufführungen in Berlin präsentiert, das Museum oder den Saalbau Neukölln, der eine Galerie und Theatersäle beherbergt. Zur Zeit der Weimarer Republik sei der Saalbau ein Ort der Jugendkultur gewesen, erzählt Kolland: "Das war dieser alte Ballsaal mit einem großartigen Flair und den hat man schlicht und einfach vor die Hunde gelassen. Das Dach war undicht, man hat das Geld für die Reparaturen nicht in die Hand genommen. Dann war es soweit, dass das Gebäude abgerissen werden sollte. Das war der Zeitpunkt, als ich in Neukölln anfing."

"Stadtentwicklung hat mit Vertrauen zu tun"

Trotz politischer Widerstände kämpfte Kolland für den Erhalt des Saalbaus, bis 1990 schließlich ein prachtvolles Kulturetablissement eröffnet werden konnte. Doch Türen aufzumachen allein, reichte nicht. Im traditionellen Arbeiterbezirk Neukölln mit seinem hohen Migrationsanteil mussten auch Schwellenängste abgebaut werden. Wichtig dabei war das Ausbilden von Netzwerken zu anderen gesellschaftlichen Akteuren.

Kulturelle Stadtentwicklung habe viel mit Vertrauen zu tun, so Dorothea Kolland; man brauche psychologisches Gespür und viel Geduld und auch politisches Verhandlungsgeschick: Denn partizipative Kulturarbeit glänzt nicht durch Prestigeprojekte, vielmehr geht es darum, in einer wachsenden Stadt Freiräume zu erkämpfen, in denen kulturelle Aktivitäten stattfinden können.

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