Erster Weltkrieg und die Sozialdemokraten

Der Beginn des Ersten Weltkriegs wurde von einer Welle nationalistischer Kriegseuphorie begleitet, Kriegsgegner blieben in der Minderheit. Auf welche Seite schlugen sich die jungen sozialdemokratischen Bewegungen in den kriegsbeteiligten Staaten? Dieser Frage widmet sich eine Sonderausstellung im Waschsalon des Wiener Karl-Marx-Hofes. Lilli und Werner Bauer haben die Schau kuratiert.

Kulturjournal, 09.09.2014

Als Speerspitze der Moderne, den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution verpflichtet, sahen sich die jungen sozialdemokratischen Parteien Europas an der Wende zum 20. Jahrhundert. Eine ihrer obersten Prämissen lautete Friedenserhalt.

Ab 1900 kam die Sozialistische Internationale regelmäßig zusammen, um zu beraten, wie der wachsenden Kriegsgefahr zu begegnen sei. Die Franzosen plädierten im Falle eines Kriegsausbruchs für Generalstreik und Volksaufstand, erklärt Werner Bauer, Kurator der Ausstellung "Die Sozialdemokratie zieht in den Krieg".

Sozialdemokratie vor Zerreißprobe

Die Sorge um das bisher Errungene führte schließlich dazu, dass die jungen Parteien, als der Krieg ausbrach, zum Lager ihrer jeweiligen Regierungen überliefen. Besonders in Deutschland und Österreich stellte der Erste Weltkrieg die Sozialdemokratie vor eine Zerreißprobe. In Deutschland kam es tatsächlich zur Spaltung der Partei, wobei der sozialdemokratische Ministerpräsident Friedrich Ebert nach Ausrufung der Republik den linken Flügel niederschlagen ließ.

Mit mehreren Schautafeln und fotografischen Dokumenten zeichnen die Kuratoren Werner und Lilli Bauer die Entwicklung der europäischen Sozialdemokratien im Ersten Weltkrieg nach. Die Schau ist im Rahmen der Dauerausstellung "Das Rote Wien" zu sehen, die seit dem 1. Mai 2010 im Waschsalon des Karl-Marx-Hofes untergebracht ist. Jenes Rote Wien, von dem der Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt ein eindrucksvolles bauliches Zeugnis ablegt, entwickelte sich als direkte Folge des Ersten Weltkriegs. Denn im Unterschied zu Deutschland schaffte es die österreichische Sozialdemokratie, den linken Flügel am Beginn der Ersten Republik in die Bewegung zu integrieren.

"Niederlage ist schlimmer als Krieg"

Es gebe nur eines, was noch schlimmer sei als der Krieg, das sei die Niederlage, meinte Victor Adler einst zu seinen Parteigenossen. Doch als die Imperien zusammengebrochen waren, stellten sozialdemokratische Politiker europaweit die neuen Regierungen. Neben den Errungenschaften stellt die Ausstellung auch die Schattenseiten der Nachkriegsentwicklungen dar. Neben einer Schautafel zur Oktoberrevolution in Russland ist da etwa auch ein Foto des blutjungen Benito Mussolini zu sehen. Es stammt aus einer Kartei der Schweizer Kantonspolizei, die den späteren italienischen Diktator 1903 vorübergehend in Gewahrsam genommen hat.

In einer Extra-Ausgabe ihres Organs "Vorwärts" argumentierte die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion in Deutschland am 4. August 1914, warum sie die geforderten Kriegskredite schließlich bewilligte. Ein Faksimile der Coverseite samt weiterführenden Informationen können sich Besucherinnen und Besucher der Ausstellung kostenlos mitnehmen.

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Das Rote Wien