Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh
Egon Friedell schrieb über sich: "In verhältnismäßig kurzer Zeit ... zum Doktor der Philosophie promoviert, wodurch ich die nötige Vorbildung zur artistischen Leitung des Kabaretts 'Fledermaus' erlangte." - Ich, ich habe auch Philosophie studiert, aber bei mir langte es für keinerlei Leitung. Nicht eine Sekunde habe ich jedoch das Studium bereut, die Brotlosigkeit ist in der Gesellschaft der Verdiener und der Möchtegernverdiener ein Ehrenzeichen.
8. April 2017, 21:58
Die Philosophinnen und Philosophen, ob arm oder wohlbestallt, unterscheiden sich nicht zuletzt dadurch, dass es solche gibt, die sich mehr für den "subjektiven Geist" interessieren und solche, die den "objektiven Geist" bevorzugen. Das sind keine Gespenster, sondern altmodische Ausdrücke - einerseits für den subjektiven Bereich der Menschen, für die Moral zum Beispiel, ja, für alles, was in der Macht oder allein in der subjektiven Betroffenheit des Menschen liegt.
Der objektive Geist andererseits bezeichnet den gesellschaftlichen, den politischen und weltgeschichtlichen Bereich. Als Subjekt allein hat man in diesen Regionen keine Macht. Wenn die politische Herrschaft einen Krieg beschließt, kann kaum einer was dagegen tun und - unter den Bedingungen der allgemeinen Wehrpflicht - werden die meisten in den Krieg ziehen, gleichgültig, ob sie ihn wollen oder nicht.
Mein Interesse fürs Subjektive war stets stärker und so habe ich mich auch für den Geist interessiert, wenn er krank ist, also für "die Geisteskrankheit". Ich besuchte psychiatrische Vorlesungen: Allgemeine Psychopathologie I und Allgemeine Psychopathologie II. Immanuel Kant (1724 bis 1804), der Philosoph der Philosophen, zumindest im deutschen Sprachraum, hat sich ja pflichtschuldigst ebenso an den Krankheiten der Seele abgearbeitet. Er unterschied, kaum vom medizinischen Wissen angekränkelt, in der Hauptsache zwei Störungsarten: Die eine ist "die Grillenkrankheit", auch Hypochondrie genannt. Ach, wenn einer Grillen hat, kann das schon ganz schön was hermachen.
Das andere ist nach Kant "das gestörte Gemüt", auch Manie genannt. Bezüglich "der Sinnenvorstellung" tritt so ein gestörtes Gemüt entweder als "Unsinnigkeit" oder als "Wahnsinn" auf: Der Gestörte sieht etwas, das es nicht gibt. Ist die Urteilskraft und die Vernunft gestört, muss man mit Kant von "Wahnwitz" und "Aberwitz" sprechen, und während man über diese relativ primitiven Unterscheidungen zu lachen geneigt ist, der Neurosen-und Psychosengarten ist ja heute viel bunter und unendlich weiter ausgedehnt, könnte einem auch etwas Anderes auffallen: Im Versuch des Philosophen, die Geisteskrankheiten mit Hilfe der Alltagssprache auszulegen (Gemüt, Wahnwitz, Aberwitz) verlieren die Krankheiten das Exotische, das spezifisch Klinische. Sie werden allgemeinmenschlich oder um es mit Nietzsche sagen: allzumenschlich!