IS: Türkei erwägt Bodentruppen

Bisher hat die türkische Regierung nichts dagegen unternommen, dass viele IS-Anhänger aus Europa über die Türkei nach Syrien oder in den Irak gelangen. Nun sagt die türkische Führung aber dem Islamischen Staat den Kampf an, möglicherweise sogar mit Bodentruppen.

Morgenjournal, 29.9.2014

Parlament am Zug

Noch will Ankara sich auf nichts festlegen lassen. Dass türkische Bodentruppen schon bald nach Syrien entsandt werden könnten, um gegen den IS zu kämpfen, wird aber nicht mehr ausgeschlossen. Auch wenn das aus dem Mund von Ministerpräsident Davutoglu noch etwas wolkig klingt: Die türkische Regierung werde das Parlament morgen um eine Ermächtigung für den Einsatz des Militärs ersuchen, eine weit gehende Ermächtigung, die noch in dieser Woche beschlossen werden solle. Die rechtliche Voraussetzung, dass die Regierung Soldaten über die Grenze schicken kann.

Etwas genauer hat sich Präsident Erdogan bei einem Backgroundgespräch mit Journalisten auf dem Rückflug aus New York ausgedrückt. Seit der Freilassung der 46 türkischen Geiseln habe die Türkei mehr Möglichkeiten zu handeln. Der Kampf gegen die IS-Terroristen sei mit Luftschlägen nicht zu gewinnen. Es brauche also Bodentruppen, sagte Erdogan.

Dass er damit türkische Soldaten meint, das hat auch Erdogan nicht klar ausgesprochen. Offiziell strebt die Türkei zunächst einmal die Schaffung einer Pufferzone auf syrischem und irakischem Gebiet an. Damit hofft man weitere Flüchtlingsströme von der Türkei fernzuhalten und danach die eineinhalb Millionen bisherigen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak nach und nach in ein abgesichertes Gebiet abschieben zu können.
Die türkische Armee könnte dazu eingesetzt werden, diese Pufferzonen zu schützen. Doch das könnte bald dazu führen, dass sie auch direkt in Kampfhandlungen verwickelt wird. Um die Pufferzonen nicht nur gegen den IS sondern auch gegen Assads Luftwaffe zu schützen, drängt die Türkei zugleich auf die Einrichtung einer Flugverbotszone. Dazu bräuchte es allerdings einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates, und der ist nicht sehr wahrscheinlich.

Das war aber schon der bisherige Stand der Dinge. Neu ist, dass die türkische Regierung nicht mehr länger auf einen solchen Beschluss warten will. Ermuntert von US-Präsident Obama und von anderen Mitgliedern der Anti-IS-Koalition, will die Türkei offenbar damit beginnen, auf syrischem Gebiet einen Hilfskorridor für Zivilisten zu bilden. Als Anlass für einen solchen Vorstoß über die Grenze könnten die Granaten der Dschihadisten dienen, die immer wieder auf türkischem Gebiet einschlagen.

Dass die Türkei jetzt gegen die Terroristen mit dem Namen Islamischer Staat offensiver vorgehen will, könnte mehrere Gründe haben. Einerseits braucht Ankara internationale Unterstützung für die Lösung des massiven Flüchtlingsproblems. Und die USA könnten eine solche Hilfe an Bedingungen knüpfen. Andererseits können Erdogan und Davutoglu sich auf neue Meinungsumfragen stützen. Die sagen aus, dass über 90 Prozent der Türken den IS für eine ernste Bedrohung halten, die vernichtet werden soll – auch wenn man diese Aufgabe lieber anderen Armeen überließe.

Mit einem direkten Eingreifen in Syrien würde die Türkei aber offen eine Zusage brechen, die den Terroristen offenbar bei den Verhandlungen über die Geiseln gegeben wurde. Das könnte die Türkei zur Zielscheibe von Racheaktionen machen. Es ist also eine folgenschwere Entscheidung, die Erdogan und sein Regierungschef zu treffen haben. Aber mittlerweile setzt sich auch in Ankara die Meinung durch, dass es zur Zerschlagung des IS-Terrors keine Alternative gebe.

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